Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (47). Über die Wirkung von Herzen

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

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47

Das Herz ist keine Pumpe, das ist so ein Joseph Beuys-Satz, den ich mit Mitte 20 zum ersten Mal gelesen habe und der mir seither nicht mehr abhandengekommen ist.

Wie viel in diesem Satz steckt.

Man könnte ihn sofort widerlegen und sagen: Doch, ist es. Es ist fast wie eine Maschine, die unseren ganzen Körper antreibt, die uns fortbewegt, die bestimmt, wie gut wir vorankommen, wie schnell und wie leicht oder schwer. All sowas.

Vieles hängt von diesem funktionierenden Herz ab.

Mein Vater ist an einer Herzinsuffizienz gestorben.

Gleichzeitig will dieser Satz von Beuys aber auch heißen: Nein, das Herz pump(er)t nicht einfach so. Es ist mehr. Es ist ein fühlendes Organ.

Und tatsächlich ist das ja nachgewiesen, in vielen Studien inzwischen, dass die sogenannte Stress-Kardiomyopathie, auch Gebrochenes-Herz-Syndrom genannt, häufig kurz nach einem emotional belastenden, manchmal auch nach emotional sehr erfreulichen Ereignissen vorkommt.

Die Herzbeschwerden meines Vaters sind rasant schlimmer geworden, als der Hund starb, der ein bedeutendes Familienmitglied war, weil über ihn viel Kommunikation in der Familie herstellt wurde, und zwar derart: „Hund, siehst du, deine Chefin spricht heute nicht mit mir!“ Das ist jetzt ein Jahr her, dass der Hund starb. Ein halbes Jahr später war mein Vater tot.

Gestern, als ich in einem sehr netten Café zum Cappuccino saß, habe ich, wie auch in vielen anderen Cafés den Cappuccino mit einem Milchschaum-Herz bekommen. Und da dachte ich plötzlich: So ein Herz wird häufig als Kitsch bezeichnet, aber dann hat man es auf dem Kaffee und es freut einen doch. Jemand hat sich Mühe gegeben für mich. Und dann schickt einem eine Freundin ein Emoji mit einem Herz-Kussmund, weil man was Gutes, was Hilfreiches, oder so gesagt hat, und man erkennt sofort: Sie hat sich gefreut, sie ist berührt worden. Ich habe ihr eine Freude gemacht.

Und klar, kann man das auch anders ausdrücken. Wenn ich einen literarischen Text schreibe, dann funktioniert das alles so nicht. Dann kann ich nicht schreiben: Mein Herz schlägt laut vor Freude. Oder: Mein Herz rast. Geht alles nicht, weil zu abgegriffen, verbraucht. Kitsch. Und es ist gut, dass es nicht geht.

Aber in der Wirklichkeit, in diesem Leben, das wir jeden Tag leben, hat so ein Herz eben doch eine Wirkung. Auch aufs Herz wahrscheinlich.

Das ist jetzt keine besonders große Erkenntnis, aber wenn wir täglich herumlaufen, um auf große Erkenntnisse oder intellektuelle Ergiebigkeit zu warten, dann sehen wir möglicherweise die Herzen nicht mehr und auch nicht die immerzu unterschätzten Sonnenauf- und -untergänge. Das Kleinzeug eben, das gut für den Antrieb der Pumpe ist, die Beuys nicht Herz nennen will.

Also, das sage ich jetzt mal hier, so nebenbei, weil ich mich ja nicht an Weihnachten auf eine Kanzel stellen kann.

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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

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