Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (28). Was die Mitte unseres Lebens ist

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

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28

(Für K. und G.)

Wir waren zu dritt. Das kann man auf dem Foto sehen. Zuerst saßen wir bei der Gastgeberin in der Küche am Tisch, um uns herum die Küche, wie eben Küchen sind, belebt und schön, wenn sie schön sind, lebendig, wenn es gute Küchen sind, da saßen wir und wir haben Beeren gesäubert, Champagner getrunken, haben über Bücher gesprochen und ob es darum geht, dass Literatur Themen hat und was denn Themen überhaupt sind oder wären. Und ich war gegen Themen, weil ich glaube, Literatur ist anders als das Sachbuch keine Erfüllungsgehilfin oder Zulieferin für gesellschaftliche Diskurse oder politische Debatten, auch wenn es nichts schadet, dass es um Themen geht. In der Literatur geht es darum, einen Ausschnitt aus der Welt zu erzählen, wie wir ihn bisher noch nie erzählt bekommen haben, meine ich. Es geht um Sprache und Perspektive und um Form und dass die Figuren leben wie Menschen. Aber es geht nicht in erster Linie um ein Thema. Also darüber haben wir unter anderem gesprochen und waren uns nicht so ganz ganz einig, aber auch nicht ganz ganz uneinig.

Wir haben den Gruß aus der Küche in der Küche gereicht bekommen und die Vorspeise auch und dann sind wir an diesen Tisch gezogen, auf dem diese drei Sets liegen. Wir haben nicht mehr nur über Literatur geredet, sondern auch ziemlich über das Leben. Über Menschen, die einem etwas bedeuten, das mittragen, was man selbst tut, die einen stärken, und wie schön das ist, über Krankheit und Tod und Sterben, was jetzt vielleicht düster klingt, aber gar nicht so war. Es war warm und nah und sehr vertraut. Und die Pasta war köstlich und der Wein.

Und dann kam das auf den Tisch, wofür wir die Beeren gesäubert haben, ohne zu wissen, was mit ihnen passieren wird. Ein weißer Hügel lag inmitten der bunten Früchte und leuchtete wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Und wie das unbeschriebene Blatt Papier war auch diese Anordnung ein wenig Respekt einflößend und wirkte so heilig, dass man sich kaum traute, sie anzurühren, aufzuessen. Aber dann doch. Diese Sache da in der Mitte der Beeren war eine Mischung aus Quark und Sahne und zusammen mit den fruchtigen Beeren köstlich.

Ich musste das fotografieren, der Schönheit wegen klar, aber ein bisschen auch, weil es mir wie ein Sinnbild für diesen Abend vorkam, den wir da zusammen verbrachten: Wir saßen um etwas herum, was die Mitte unseres Leben ist, üppig, reich und meistens gut.

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