Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (37). Und schaut zu, wie andere Leute wohnen und ihren Kaffeetisch gestalten

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

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37

Ich mag das gerne. Sehen, wie andere Menschen wohnen. Sehen, wie sie ihre Räume gestalten, ihre Küchen, was man sehen darf und was nicht, was da herumliegt an Kleinkram und was an den Wänden hängt; wie jemand mit Farben umgeht. Und wie jemand seinen Kaffeetisch gestaltet.

Das hier ist zum Beispiel der Geburtstagskaffeetisch einer Freundin, die ich schon sehr lange habe und lange kenne, wahrscheinlich so siebzehn Jahre. Sie ist jünger als ich, aber weil sie mir in vielen Dingen ähnlich ist, ist das nicht besonders wichtig. Letztes Wochenende war ich bei ihr, bin ich zu ihr gefahren, sie hat ihren Geburtstag nachgefeiert und es kamen ein paar Freundinnen zu Besuch und dann auch noch die Tante und die Mutter.

Und ohne dass da jemand sitzt, ist eigentlich klar, das ist ein Mädchenkaffeetisch. Im besten Sinne. Das Geschirr mit den Herzen ist altes Porzellan, ich habe mir aufschreiben wollen von wem, aber dann habe ich es wieder vergessen. Es ist ein Erbgeschirr von der Großmutter der Freundin und wunderbar erhalten.

Als wir den Tisch deckten, musste es plötzlich ganz schnell gehen, und weil die Freundin gerade umgezogen ist, wurden die Tischdecken nicht gefunden, aber immerhin zwei sehr schöne Stücke Stoff, die so gut und so lebendig waren, wie jede noch so feine Tischdecke. Die Freundin begehrte zuerst auf, als ich sie auf den Tisch legte, wegen der Fransenkante, die man dann sah, aber ich fand das genau richtig.

Und ich musste sofort die Geschichte erzählen vom Sohn eines Freundes. Während seines Studiums als Modedesigner ist der Freund alleinerziehender Vater geworden und lebte mit seinem Sohn in so einer atelierartigen Loftwohnung. Alles war untrennbar, Leben und Studieren und Entwerfen und Arbeiten und Denken und Erwachsen sein und Kind sein, und Kind erziehen; und alles war immer ganz nah beieinander. Und natürlich lebte der Sohn des Freundes all das mit. Eines Tages zog er – wahrscheinlich versehentlich – sein Sweatshirt falsch herum an, Nähte nach außen; der Sohn trug nur No-name-Kleider, alles andere verweigerte er, so waren auch nirgendwo Label-Schilder in seinen Klamotten und also ging das sehr gut. Und als der Vater, mein Freund, zu ihm sagte, er möge doch sein Sweatshirt richtig herum anziehen, sagte der Sohn, dass er dazu keine Lust habe. Und natürlich ließ der Freund ihn das Sweatshirt so tragen, wie er wollte. Einige Wochen später beim Elternabend erfuhr er, dass nun viele Kinder in der Klasse und in der Schule ihre Kleider innen nach außen trugen, denn der Sohn habe in der Schule gesagt: Mein Vater ist Modedesigner und das macht man jetzt so.

Ich erzählte diese Geschichte zur Verteidigung der Fransung der Stoffstücke und gegen die Idee, alles muss immer so schön glatt sein. Und so blieb die Decke da liegen. Und im Laufe des Nachmittags fand ich das immer dringlicher, dass diese Tischdecke genau so aussah, weil das die schönste aller Brechungen war zu den tadellos roten Herzen auf dem Geschirr. Dazu die Zinnien, die wir davor noch auf dem Feld geschnitten haben und die Gartenlampion-Blumen von der Tante.

Ich fand das einen der speziellsten Geburtstagstische seit langem und ich weiß auch, dass ich mich an so einen tausend Mal lieber setze, als an so einen durchdesignten faltenfreien Perfektionistinnen-Tisch, an dem alles so unangreifbar richtig ist, dass einem vor lauter Richtigkeit nicht mal mehr einfällt, wie das früher war, als alles noch nicht perfekt war, aber wir dabei waren, das zu werden, was wir jetzt gerade sind.

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