Info
30.10.2023, 13:57 Uhr
Andrea Heuser
Spektakula

Buchpremiere von und mit Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz im Residenztheater

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/redaktion/2023/klein/Kroetz_500.jpg
© Literaturportal Bayern

Am 16. Oktober 2023 stellten Franz Xaver Kroetz und Marie Theres Relin, einst Glamourpaar der Boulevardpresse, ihr gemeinsames Buch Szenen keiner Ehe im Münchner Residenztheater vor. Andrea Heuser hat die Buchpräsentation für uns verfolgt.

*

Wenn Erinnerungen die Augen öffnen ...

„Genießen Sie Ihre Unerreichbarkeit.“ – Diese originelle Aufforderung an das Publikum, das Handy während der gesamten Vorstellung doch bitteschön ausgeschaltet zu lassen, wurde mit vielen Lachern quittiert. Innerlich erreichbar und aufnahmefähig blieben die Zuhörerinnen und Zuhörer im fast ausverkauften Residenztheater jedenfalls allemal.

Auch wenn die charmant-anregende Begrüßung seitens des Hausherren Andreas Beck leider recht einseitig auf Franz Xaver Kroetz zugeschnitten ausfiel. Aber so ist es wohl, wenn die eine Geschichte bereits einen langen Vorlauf hat wie Becks intensive Beschäftigung mit den Werken von Kroetz. (Kroetz zu Beck anlässlich eines Gesprächs bei ihm daheim: „Ich habe einen Apfelstrudel für Sie vorbereitet. Sie sind mein sechster Staatsintendant.“) Während das andere Kennenlernen, mit Marie Theres Relin, in Gestalt dieser Lesung gerade erst beginnt. Manchmal jedoch lässt sich beides, Vertrautes und Unbekanntes, durchaus kreativ miteinander verbinden. Eine ebenso alte wie neue Geschichte nämlich erzählen Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz mit „Szenen keiner Ehe“. Ein unterhaltsamer, ‚schräger‘ Abend, der leider einige gravierende Schieflagen barg.

Die Lüge hat so viele Möglichkeiten, aus der Wahrheit ein paar Funken zu schlagen.

Anspielend auf Ingmar Bergmans berühmtes Filmwerk Szenen einer Ehe beginnen Relin und Kroetz ihr gemeinsames Buch Szenen keiner Ehe dort aufzuschlagen, wo andere es schließen: Ihre Ehe ist längst zu Ende, selbst die Scheidung ist lange her, die Kinder sind erwachsen. Alles ist bekannt, alles ist gesagt. Und jetzt, auf einer dennoch-gemeinsamen Reise, die von den Kanaren u.a. über Andalusien und das Baskenland führt, notiert das Nichtmehr-Paar die äußeren, vor allem aber auch die inneren Bewegungen dieser Reise. Und zwar Tag für Tag, jeweils aus ihrer eigenen Sichtweise. Von Eintrag zu Eintrag vermittelt sich den Zuhörerinnen und Zuhörern dabei immer stärker das Gefühl sowohl für das Trennende als auch für das, Zitat Kroetz, „linkisch Vertraute“ dieses ungleich-gleichen Teams. Und ein Team müssen sie sein, denn wie sollten sie sonst mit Kroetz‘ zerrüttetem Knie von A nach B kommen? Aber wohin, fragt man sich während der Lesung, gelangen die beiden denn da eigentlich?

Kroetz: „Ich höre ihr mit wohlwollender Langeweile zu.“

Relin: „Ich lebe sein Leben als Trittbrettfahrerin mit.“

Wenn das Ich verrutscht und ich mich nicht mehr wiederfinde

Dieses antagonistisch-vertraut Zugehörige spiegelt auch die Dramaturgie der Lesung, dieser „etwas anderen Buchpremiere“. Beispielsweise wenn Relin und Kroetz sich zu Beginn in einer unbewusst-synchronen Bewegung ihre Lesebrillen aufsetzen, um sich danach dann das – in Inhalt wie Ton so gänzlich verschiedene – Wort zu überlassen. 

Was aber ist denn an dieser Buchpremiere so „anders“, wie es das Einlassticket  verheißungsvoll verkündet?

Dass zwei Menschen sowohl die Verfasser als auch die Figuren ihres Buches in Realunion sind, ist ja an sich nichts Ungewöhnliches. Und auch literarisch gesehen ward der Plot „nach der Geschichte ist vor der Geschichte“ ja nun nicht das erste Mal auf einer Bühne gesehen.

So richtig erschließt sich dies eigentlich nur den Eingeweihten bzw. denjenigen, die sich im Vorfeld etwas mehr über die Veranstaltung informiert haben. Dann versteht man, dass es sich bei dieser Premiere in gewisser Weise auch um eine Dernière handelt:

Denn hier, im Residenztheater, an einem Julitag im Jahre 1987, begann im Anschluss an die dort stattfindende Podiumsdiskussion über Kroetz‘ Drama Stigma, die Liebes- und Beziehungsgeschichte zwischen Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz. Und nun, 36 Jahre danach, präsentieren die beiden ihre „Szenen keiner Ehe“ dort, wo eben alles offiziell begann.      

Das Alter ist ein Massaker. / Also jung sterben. Und das so spät wie möglich.

Das Wissen um die Prominenz der eigenen Person, das gesteigerte Interesse am Selbst bleibt dabei allerdings das unhinterfragte Fundament, auf dem all die vorgetragenen Betrachtungen, die Befindlichkeits-Reflektionen über das stetige Altern, das kaputte Knie, Schlaflosigkeit, Schreibblockaden, Launen und die/den Ex aufbauen.

Kroetz‘ Sprachmächtigkeit macht während seiner Vorlesepassagen zwar durchaus ein Zuhörvergnügen daraus. So hallt einiges nach. Zum Beispiel dies: „Du hast mich wieder ins Leben zurückgeholt. Ich habe ganz vergessen wie es ist, verzweifelt zu sein.“

Derartig Eindrückliches – wie auch die hier als Zwischenüberschriften platzierten, während der Lesung memorierten Aussagen – regen tatsächlich immer wieder dazu an, Kroetz‘ pointiertem, markig-weisem Weltschmerz innerlich weiter nachzuspüren.  Auch seine professionell-charismatische Vortragsweise unterhält. Wie aber schaut es mit seiner ehemals ‚besseren Hälfte‘ aus, wie man die Ehefrau im Volksmund früher gerne nannte?

Hm. Möchte ich da sagen. Denn Relins im Grunde liebenswerten und sympathischen Ausführungen zu Kroetzens Launen und ihren eigenen Stimmungen erweisen sich leider als so viel weniger ergiebig und wirken über die längere Strecke der Lesung hin letztlich so duldsam, so „er-bezogen“, dass es einen als Zuhörerin mitunter wirklich plagt. Wieso wird diese attraktive Frau – zumindest in den hier ausgewählten Vortragspassagen – so wenig im eigenen Recht und Licht sichtbar? Stets schaut, denkt, fühlt, bewegt sie sich durch diese Reise im Blick auf ihn. Auch wenn man ihr darüber hinaus gerne zugute hält, dass derlei Reflektionen über malerische Örtchen und die Aussicht auf eine Wärmflasche am Abend im privaten Rahmen mehr auszusagen vermögen als hier, in einem für die öffentlichen Ohren bestimmten Raum.

Diesen Ohren wird dann allerdings gänzlich unvermittelt ein zutiefst erschütterndes Thema präsentiert: Der sexuelle Missbrauch der damals noch sehr jungen, pubertierenden Marie Theres durch ihren Onkel. Relins Schilderung dieser körperlichen und eben auch seelischen Gewalttat ist schmerzlich detailgetreu und explizit. Zugleich tritt zutage, dass in dieser langen Ehe dann eben wohl doch nicht alles gesagt und Wesentliches verschwiegen wurde. Marie Theres Relin hat über dieses traumatische Ereignis in der Vergangenheit, so sagt sie, tatsächlich nie gesprochen. Zu schwer, dies ließ sich klar heraushören, wog die Scham des Zugestoßenen und auch die Furcht aufgrund eines mangelnden Verständnisses ihrer Umwelt erneut verletzt zu werden. Sie lebte und blieb mit diesem Erlebnis also innerlich so allein, wie sie es erlitten hatte.  

Und auch in der Lesung wirkt dieses Anvertrauen verstörend abgespalten. Kroetz‘ daran nahtlos anschließende Passage nimmt darauf nicht nur in keiner Weise Bezug. Es wird auch an keiner anderen Stelle der Lesung thematisiert, was diese Erfahrung und das jahrelange Schweigen darüber, was das nun endlich Mitgeteilte mit ihnen als Nicht-mehr-aber-irgendwie-ja-doch-Paar dann eigentlich macht; ob und wenn wie es den Blick aufeinander verändert, schärft. Wir hören in der darauffolgenden Sequenz lediglich, dass das Benzin auf der Rückfahrt knapp wurde und sonstige Alltäglichkeiten, die danach nicht mehr richtig haften bleiben.

„Sie sprechen aus, was andere Paare denken.“ – Hinter diesem werbenden Anspruch bleibt die „etwas andere Buchpremiere“ nun wirklich recht weit zurück. Vielleicht, weil hierin andere Paare grandios unterschätzt werden, dieses Paar hingegen überschätzt?  

Nun mag man einwenden, dass Kroetz es vielleicht bewusst vorzog, dieses Trauma so stehen zu lassen – Wie darauf auch adäquat öffentlich reagieren? Sicher, dazu hätte es einiger Überlegungen, einer gewissen geistigen und emotionalen Anstrengung bedurft, der man sich natürlich nicht stellen muss, aber kann – Doch selbst ein schlichter Satz wie: „Das möchte ich hier jetzt gern so stehen lassen“ wäre hilfreich gewesen. Vielleicht passiert dieses Darauf-Eingehen dann ja im Buch selbst. Aber ein Veranstaltungsbericht kann sich nur an der  Veranstaltung orientieren, von der er handelt, deren Erleben dem Bericht zugrunde liegt.

Nun war ein großer Teil des Publikums durch die Buchlektüre oder die entsprechenden Medienmitteilungen bereits vorgewarnt: „Jetzt kommt das wohl …“ raunte zum Beispiel ein Herr neben mir. Und eine Dame murmelte: „Oh je …“

Der Effekt, die Wirkung, die so ein ‚Outing‘ selbstverständlich auf jedes mitfühlende Gemüt hat, ist natürlich garantiert. Was es für die Betroffene wirklich ist, kann man sich nicht anmaßen zu beurteilen.

Aber über die Art und Weise der Mitteilung, über die Wirkung auf einen selbst darf man durchaus berichten: Und auf mich wirkte dieser „Hammer“ zum Ende – nach einer Kette von zelebrierten Selbstbefindlichkeitsspiegelungen – leider vor allen Dingen als auf seinen Effekt hin kalkuliert. Zurück bleibt daher ein ziemlich schales Gefühl.

Schade. Der Applaus aber war groß und der Abend, an anderen Kriterien gemessen, sicherlich ein Erfolg.