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06.09.2023, 07:34 Uhr
Katrin Diehl
Literarische Erkundungen
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Katrin Diehl (Foto: Frank Zuber)

Gertrude Stein – Klaus Mann findet die echt gut und schreibt über ein Buch von ihr über Picasso – Literarische Erkundungen (7)

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Klaus Mann und seine exakte Schrift (aus der Dauerausstellung der Monacensia). Alle Bilder (c) Katrin Diehl

Warum interessiert sich Klaus Mann für Gertrude Stein? Was hat das mit Sinnsuche und Picasso zu tun? Klaus Mann macht sich ein bisschen zum Kunstexperten, vor allem aber versucht er sich im Erforschen dieser faszinierenden Gestalt, die die Pariser Kunstwelt in neue Bahnen lenkt. Katrin Diehl liest – für die literarischen Erkundungen – einen wenig spektakulären Text von Klaus Mann (zu finden im Literaturarchiv der Monacensia) über Gertrude Stein, die ihm wohl irgendwas lehren mochte. 

Klaus Mann hält Ausschau nach Menschen, vor denen man nichts, vor allem nicht sich selbst zu verstecken braucht. Menschen, die wissen, dass die Moderne mit Zügellosigkeit zu tun hat, mit Schranken, die fallen, mit Experimenten, die auch schief gehen können. Klaus Mann ist das zweite der Mann-Kinder und keiner, der gerade festen Boden unter den Füßen hat, einen Schwebezustand, aus dem er Inspiration schöpft, der ihn aber auch immer wieder mal straucheln und abstürzen lässt. Wie viele, die davon überzeugt sind, dass Sinnsuche auch anders geht, gerät Gertrude Stein in sein Blickfeld.

Klaus Mann und Gertrude Stein: Sinnsuchende und Picasso

Eine Sache ist nach kurzer Recherche schnell geklärt: Rechts, in der oberen Ecke des ersten Papierbogens ist in blasser Bleistiftschrift eine Jahreszahl notiert, die – so ist es wohl gedacht – Auskunft über die Entstehung des Textes geben soll. Aber ist die letzte Ziffer eine 4 oder eine 9? Heißt es 1934 oder 1939? Es muss eine 9 sein. Es muss 1939 heißen.

1934 oder 1939? Klaus Mann schreibt über Gertrude Stein.

Eine Autobiografie aus der Sicht einer anderen

Das acht Seiten umfassende Schreibmaschinenmanuskript von Klaus Mann (1906-1949) kann unmöglich aus dem Jahr 1934 stammen. Das schmale Bändchen von Gertrude Stein (1874-1946), mit dem sich Klaus Mann auseinandersetzt, erschien erst 1938, in diesem Jahr und beinahe zeitgleich auf Französisch bei Libraire Floury in Paris sowie auf Englisch bei Batsford Books in London.

Die Sekundärliteratur ist sich darüber einig, dass Gertrude Stein das Buch auf Französisch geschrieben hat. Uneinig ist sie sich darüber, ob Gertrude Stein auch den englischen Text verfasst hat – sie beherrschte ja beide Sprachen perfekt – oder ob ihre Lebenspartnerin Alice B. Toklas den französischen Text ins Englische übersetzte. Dass darüber keine Klarheit herrscht, hat auch etwas Komisches. Fünf Jahre zuvor war es Gertrude Stein mit einem Kunstgriff gelungen, den Begriff der Autobiografie aus den Angeln zu heben: Sie schrieb eine solche über Alice, in der es (auch, vor allem?) um den Blick auf sich selbst ging. Vielleicht fand es die Außenwelt dann irgendwann zu kompliziert, zwischen Gertrude und deren Muse, Sekretärin und Partnerin Alice zu trennen.

Picasso, so lautet schlicht der Titel von Steins schmalem Buch, das etwas mehr als 50 Textseiten, 55 Schwarzweiß- und acht Farbabbildungen enthält. Es lässt sich am ehesten als einen Essay bezeichnen, einen Essay, der – na klar – Auskunft über Picasso, vor allem aber Auskunft über Gertrude Stein und ihren Blick auf Picasso gibt. Und das interessierte die Avantgarde der 1930er. Das interessierte auch Klaus Mann.

Ein Sehnsuchtsort: Steins Salon

Klaus Manns Schreibmaschinenmanuskript, in dem er sich zu Steins Buch äußert, liegt im Archiv der Monacensia (KM M 525) und entführt uns ein wenig und sehr zeitgemäß in das Paris der 1920er- und 1930er-Jahre. Paris, die Stadt, in der das, was in der Kunst neu werden sollte, seine Inspiration wie seine Motivation fand, die Stadt, in der Gertrude Stein in ihrem Salon saß, eher thronte, regierte, verwirrte und faszinierte. Übrigens wurde diese Stadt, deren kulturelles Leben zu dieser Zeit eher männlich geprägt war, von einigen weiteren Frauen ,,regiert“ wie von Sylvia Beach und Adrienne Monnier, die sich um die Avantgarde in der Literatur kümmerten und die natürlich auch mit Gertrude Stein in Kontakt standen.

Klaus Mann, das zweite Kind von Katja und Thomas Mann, engster Bruder der nur ein Jahr älteren Schwester Erika, war Anfang dreißig, als er das Manuskript verfasste. Steins Buch hatte ihn angezogen, so wie es das Interesse einiger anderer Rezensenten geweckt hatte, die für französische oder angloamerikanischen Medien unterwegs waren. Er machte sich daran, es genau zu lesen, genau darüber zu schreiben. Und das ist es wohl, was wir mit diesem Manuskript vor uns haben: eine ausführliche – eher beschreibende als kritische – Besprechung einer „Neuerscheinung“.

Dass Klaus Mann sich Steins Buch mit einigem Engagement annimmt, die Art und Weise, wie er es tut, zeigt, dass er nicht uninteressiert ist an der modernen Kunst, dass er nicht uninteressiert ist am Künstler Pablo Picasso, dass er aber vor allem und in erster Linie interessiert ist an der Autorin Gertrude Stein (die ja noch viel mehr war als nur das) – einer Lichtgestalt, die, so könnte man sagen, für eine andere, entfesselte Zeit stand. Vor allem, wenn man sah, hörte, spürte, was in Deutschland geschah, das dunkel im Rücken lag.  

Wilder Drogenkonsum

Klaus Mann liegt die englische Ausgabe von Picasso vor. Er schreibt darüber auf Deutsch, obwohl er sich in den USA sehr schnell für die englische Sprache entschieden hatte. Zitate aus dem Buch übersetzt er. Ob und wo sein Text erschienen ist, verrät das Archivmaterial nicht.

So wenig Klaus Mann als ausgewiesener Experte der modernen Malerei galt, so sehr setzte er große Hoffnungen in die Avantgarde, setzte auf die Moderne und setzte sich für sie ein. Ihm bereitete es Freude wie Genugtuung, Konventionen fallen zu sehen, wovon er sich Freiheiten versprach, die ihm fehlten. Ihm gefiel es, wenn alte Säulen zumindest ins Wanken gerieten, erhoffte sich ein wenig Seelenfrieden, wenn neben den großen Meistern (und dazu zählte auch der eigene übermächtige Vater) auch anderes, Neues zum Zuge kommen konnte. Seit den Zwanziger Jahren schrieb Klaus Mann selbst als Literat. Er hatte sich 1925 öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt, hielt viel von einem „sozialistischen Humanismus“ und nahm ziemlich wild Drogen.

1938 in Paris und London erschienen und von Klaus Mann bemerkt.

Der Titel des Manuskripts, das oben links die Spuren einer großen, leicht oxidierten Büroklammer trägt, lautet „Gertrude Stein und Picasso“, lautet nicht „Gertrude Stein über Picasso“. So wie diese aus konservatorischen Gründen entfernte Büroklammer auf merkwürdige Weise Arbeitstechniken offenbart, so tun dies auf ihre Art auch einige mit einer groben Bleistiftlinie durchgestrichene Zeilen. Am Ende demonstrieren sie das Gegenteil eines heutigen Löschvorgangs (gemeint ist der per Knopfdruck): Die durchgestrichenen Buchstaben, Worte, Sätze... sind – gegen den Willen des Autors – mehr als existent, wollen von der Nachwelt nur noch gelesen werden. Das hat natürlich etwas äußerst Indiskretes, und so ist das eben mit dem Forscher*innengeist. Außerdem hat Klaus Mann an einigen Stellen Korrekturen vorgenommen, in schwarzer Tinte und gut lesbarer, exakter Handschrift.

Zwei Vermutungen lassen sich, ohne exakten Beleg, allein aufgrund der Tatsache, dass sie im Text keine Erwähnung finden, äußern: 1. Klaus Mann hat Gertrude Stein nie persönlich kennengelernt (dass sie sich mehrmals nur knapp verpasst haben, ist hingegen durchaus vorstellbar). 2. Wir befinden uns zwar im Jahr 1939, aber der Zweite Weltkrieg hat noch nicht begonnen.

Zerstörung, Perspektivenwechsel, Neuanfang

Der Text beginnt sehr erstaunlich. „Miss Gertrude Stein ist eine der berühmtesten Frauen Amerikas“, heißt es da. Stimmte zwar vielleicht, dennoch verortete man Gertrude Stein längst oder zumindest auch und sehr prominent in Frankreich, genauer gesagt in Paris. Vielleicht hatte Klaus Mann gerade Gertrudes (und Alices) knapp zurückliegende ausgedehnte Lesereisen durch die Staaten verfolgt, auf denen sie ihre Autobiography of Alice B. Toklas vorgestellt hatte(n) und die tatsächlich noch einmal sehr für Bekanntheit und Rummel ihrer Person(en) sorgten.

Auch Klaus Mann pendelte zwischen den Welten. 1938 emigrierte er in die USA. In den Jahren nach der Machtergreifung der Nazis hatte er, dem 1934 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, in einigen europäischen Großstädten zeitweilig Unterschlupf gefunden, 1933 zum Beispiel auch für einige Wochen in Paris. 1943 wurde er dann amerikanischer Staatsbürger, wie auch Gertrude Stein das war.  Klaus Mann nennt sie in seinem Text eine „amerikanische Poetin“ und zitiert den Anfang ihres Picasso-Buches:

Malerei im Neunzehnten Jahrhundert ist nur in Frankreich und von Franzosen gemacht worden. Abgesehen davon hat es keine Malerei gegeben, im zwanzigsten Jahrhundert ist Malerei in Frankreich gemacht worden, aber von Spaniern.

Die spanische Herkunft Picassos ist für Gertrude Stein von großer Bedeutung. Klaus Mann fasst zusammen: „Gertrude Stein betont es immer wieder: Picassos Substanz ist spanisch.“ Später wird er sie beinahe genüsslich zitieren, wie sie die eigene Zeit ebenso schaudernd wie neugierig beschreibt:

So also ist das zwanzigste Jahrhundert. Es ist eine Zeit, da alles kracht und zerspringt, da alles zerstört ist, alles vereinsamt: Es ist eine viel großartigere Sache als eine Periode, wenn alles im Zusammenhang bleibt.

Bilder des Kubismus tauchen vor dem geistigen Auge auf, die eben vieles gleichzeitig illustrieren: Zerstörung, Perspektivenwechsel wie die Möglichkeit eines Neuanfangs. Klaus Mann, so fühlt es sich nach dessen Text an, sucht und sieht in Gertrude Stein eine Frau, die die Zeichen der Zeit erkennt, der nichts schräg genug sein kann und die auf das richtige Pferd setzt. Er nennt sie eine „weißhaarige Poetin..., die wie ein bedeutender alter Mann aussieht“, was sie groß macht, groß genug, um sich an ihre breite Schulter lehnen zu können.

Aus der Dauerausstellung der Monacensia, einiges zu Klaus Mann.

Im Jahr, in dem Gertrude Steins Buch über Picasso erscheint, zieht sie zusammen mit Alice B. Toklas um von der Rue de Fleurus in die Rue Christine. Außerdem kauft sie sich einen neuen Pudel, nachdem der alte namens Basket gestorben ist. Ein Jahr später, dem Jahr, in dem Klaus Mann den Text über sie schreibt, erscheint (in Amsterdam) sein siebter Roman. Er trägt den Titel Der Vulkan und erzählt vom Leben der Emigranten in Paris, Zürich, Prag, Amsterdam, den USA, entwirft das Zukunftsbild eines Sehnsuchtsortes, an dem sie alle ihren Platz haben, die Anarchisten, die Drogenabhängigen, die Homosexuellen.

Mein Name ist Katrin Diehl, ich bin Journalistin und Autorin, gehöre dem Netzwerk Münchner Theatertexter*innen an und für die Monacensia habe ich etwas übrig.

Die „literarischen Erkundungen in und um die Monacensia“ erscheinen immer am ersten Dienstag eines Monats. Alle Folgen der Kolumne finden Sie im Journal unter Reihen & Kolumnen.

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