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30.11.2022, 17:07 Uhr
Kunstministerium
Text & Debatte
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© Laurin Gutwin

Förderstipendium Neustart-Paket Freie Kunst an Nadine Schneider

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© Wolfgang Maria Weber/StMWK

Lyrik, Comics und Romane: Am 28. September 2022 wurden in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 22 Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Kunstminister Markus Blume mit den Förder- und Arbeitsstipendien des Freistaates Bayern ausgezeichnet. Unter den geförderten Publikationsvorhaben finden sich Lyrik-, Erzähl- und Comicbände ebenso wie die Geschichte einer potenziellen Amour fou sowie eine im 19. Jahrhundert angesiedelte gesellschaftskritische „biofiction“. Das Literaturportal Bayern stellt in den kommenden 11 Wochen jeweils zwei der Preisträgerinnen und Preisträger mit einem Porträt und einem Textauszug vor.

Nadine Schneider, geboren 1990 in Nürnberg, studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Regensburg, Cremona und Berlin. Berufliche Stationen führten sie u.a. an die Komische Oper Berlin, die Vagantenbühne Berlin und zum Bundeswettbewerb Gesang Berlin. Ihr erster Roman Drei Kilometer (Jung und Jung, 2019) wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hermann-Hesse-Förderpreis und dem Literaturpreis der Stadt Fulda. 2021 las sie beim Ingeborg-Bachmann-Preis. Zuletzt erschien 2021 der Roman Wohin ich immer gehe (Jung und Jung). Nadine Schneider lebt in Nürnberg.

Auszug aus Kein Haus im Paradies (Romanvorhaben)

Ich denke mir: Es ist der Tag, an dem meine Großmutter ihre Sachen packt. Sie steht im hintersten Zimmer ihres schlauchförmigen Hauses und faltet Blusen. Sie geht, so gut glaube ich sie zu kennen, in Gedanken durch, was sie noch zu erledigen hat. Dass sie fegen, die Fenster putzen, die Schränke auswischen muss. Es steht für sie nicht zur Debatte, das Haus aufgeräumt und sauber zurückzulassen. Es steht für sie außer Frage, dass sich derjenige, der das Haus nach ihr betritt, denken solle, dort habe ein sehr ordentlicher Mensch gewohnt.

In der Kiste, die sie packt, liegt gut verstaut der Grundriss ihres Hauses, liegt das, was vielleicht ein Grundbucheintrag ist, was vielleicht ein Erbschein ist, genau weiß ich es nicht. Denn die Frage danach, was das für Dokumente seien und ob man heute überhaupt noch etwas damit anfangen könne, war eine von den sehr dummen. Sie war meiner Großmutter gerade mal ein mit Spucke beladenes Zischen wert, bevor sie die Augen zur Decke hob und weiter davon erzählte, wie sie nur eine Kiste mitnehmen durfte: „Eine Kiste für einen ganzen Haushalt! Kannst du dir das vorstellen?“

Ob sie traurig oder ängstlich war an dem Morgen, an dem sie zum letzten Mal in ihrem Haus ihre Blusen faltete, sagte sie nie. Womöglich war es ein verregneter Morgen im April gewesen, ein Morgen, der die Straßen aufschwemmte, den Schlamm bis an die Türschwellen trug, der die Hausfassaden mit dreckigen Tropfen bespritzte. Und meine Großmutter schaute aus dem Fenster, lugte unter dem Giebel hervor zum Himmel, der sich an diesem Tag nicht mehr öffnen würde und spürte nur eines: Erleichterung.