Der hellsichtige Reaktionär

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Friedrich Reck-Malleczewen (Pasinger Archiv e.V.)

Im Mai 1936 begann Reck-Malleczewen mit der Arbeit am Tagebuch eines Verzweifelten. Er schrieb daran bis Oktober 1944. Was das Buch so außergewöhnlich macht, ist der Standpunkt, vom dem aus es geschrieben wurde. Reck-Malleczewens Buch ist eine verzweifelte, hasserfüllte Kritik am Hitlerstaat von einem national-konservativen Standpunkt aus. Der deutschnationale Reaktionär, der die Moderne als eine einzige Verirrung begriff, erkannte früher als die meisten seiner Landsleute, dass der nun eingeschlagene Weg unweigerlich in den Untergang führen sollte.

Seit mehr als zweiundvierzig Monaten denke ich Haß, lege mit Haß mich nieder, träume Haß, um mit Haß zu erwachen: ich ersticke in der Erkenntnis, der Gefangene einer Horde böser Affen zu sein und zermartere mir das Hirn über das ewige Rätsel, dass dieses nämliche Volk, das vor ein paar Jahren noch so eifersüchtig über seinen Rechten wachte, über Nacht versunken ist in diese Lethargie, in der es diese Herrschaft der Eckensteher von gestern nicht nur duldet, sondern auch, Gipfel der Schande, gar nicht mehr imstande ist, die eigene Schmach als Schmach zu empfinden...

(Friedrich Percyval Reck-Malleczewen: Tagebuch eines Verzweifelten. Zeugnis einer inneren Emigration. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1971, S. 15)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl