Sprache und Identität

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Sterbebenachrichtigung aus dem KZ Dachau

Für Boris Pahor wurde die deutsche Sprache zur Rettung in höchster Not. Nicht, weil er sie liebte, im Gegenteil. Alles in ihm rebellierte gegen diese Sprache, die Sprache der Mörder. Doch weil er sie beherrschte, konnte er im KZ in der Krankenbarracke eingesetzt werden und überleben.

Auf Deutsch musste logischerweise alles Offizielle geschrieben werden, alles, was Kranke, Krankheiten und Tod betraf. Ob ich Deutsch schreiben könne, fragte mich Jean; erst da ging bei mir ein Licht auf, dass Jean vom freundschaftlichen Interesse für einen unbekannten Kameraden, der Französisch spricht, in den Bereich der Organisation übergegangen war. [...] Wahrscheinlich habe ich nicht einmal an den Lehrer Kitter gedacht, oder an die schlechten Noten unter meinen deutschen Schulaufsätzen, die mir die Atmosphäre in Koper-Capodistria zusätzlich getrübt hätten. Heute weiß ich, dass ich auch Deutsch gut gelernt hätte, wenn es mir nicht instinktiv gegen den Sinn gegangen wäre; mein Gewebe, meine Zellen, waren dagegen gewesen. Aber ich kann Deutsch schreiben, Jean, sagte ich, besonders dann, wenn es darum geht mit jenen zusammenzuarbeiten, die versuchen, uns vor dem Ofen zu retten.

(S. 26f.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl