Thomas Mann: Mann im Krieg

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Heinrich und Thomas Mann, BSB/Hoffmann

Seit 1. August 1914 ist Thomas Mann mit seiner Familie im Sommerhaus in Bad Tölz, bevor er im Herbst 1917 das Haus verkauft und den Erlös in Kriegsanleihen anlegt. Im Unterschied zu den meisten deutschen Intellektuellen, die sich schon weit vor Kriegsausbruch der nationalen Sache verschreiben, behauptet Thomas Mann, er habe „so garnichts geahnt und gemerkt [...] Selbst nach dem Fall des Erzherzogs hatte ich noch keinen Schimmer, und als der Kriegszustand verhängt war, schwor ich immer noch, daß es zu nichts Ernsthaftem kommen werde.“ (Brief an Philipp Witkop vom 11. November 1914). Zwar muss er 1914 mit Einberufung rechnen – der Bruder Viktor wird gleich geholt, ebenso der Schwager Heinz Pringsheim –, aber er selbst gehört zu den älteren Jahrgängen des ungedienten Landsturms und muss deshalb nicht allzu viel fürchten. Von denen, die von zu Hause spöttisch denen im Felde zuschauen, möchte er sich jedenfalls distanzieren – „Soldatisch zu leben aber nicht als Soldat“ ist Thomas Manns Devise. Er schreibt zu diesem Zweck eifrig: im August und September 1914 die Gedanken im Kriege, im September bzw. Oktober Gute Feldpost, von September bis Dezember Friedrich und die große Koalition, vom April zum Mai 1915 den Brief an die Zeitung Svenska Dagbladet, Stockholm, vor allem aber von Herbst 1915 bis Frühjahr 1918 die monumentalen Betrachtungen eines Unpolitischen.

Mann wird ausgemustert; am 11. November 1916 wird er wegen Magenschwäche und Nervosität endgültig vom Militärdienst freigestellt. Sein privates Kriegserlebnis besteht darin, dass er während einer Fiorenza-Aufführung im besetzten Brüssel Januar 1918 mit hochrangigen Soldaten in Berührung kommt, was Mann später mit den Worten „so hart wie diese Herren habe auch ich den Krieg mich ankommen lassen“ (Lebensabriß, 1930) quittiert.

Während der Kriegsjahre ist Thomas Mann einsam, was nicht zuletzt mit dem Widerspruch zur Position seines Bruders Heinrich zusammenhängt. Die wichtigsten Gesprächspartner sind der Gelehrte Ernst Bertram und der Schriftsteller Paul Amann. Während der Georgianer Bertram Material und Lob für Thomas Manns Betrachtungen liefert, fungiert Amann als antinationalistisches Korrektiv. Dennoch dauert es lange, bis sich ein Wandel seiner Einstellungen gegenüber dem Krieg bei Mann abzeichnet.

Da der wirkliche Krieg in seinem literarischen Werk eher ausgespart bleibt, vollzieht sich Thomas Manns Auseinandersetzung mit diesem nicht zeitgeschichtlich im engeren Sinne, sondern ideologisch im Kampf der Ideen zwischen dem unpolitischen, romantischen, obrigkeitsstaatlichen Deutschland und dem aufklärerischen, demokratisch-republikanischen, kapitalistischen Frankreich. „Lange glaubt er an den deutschen Sieg, weil doch die deutschen Ideen die besseren sind. Daß auch Deutschland kapitalistisch, materialistisch, aufklärerisch-utilitaristisch ist, weiß er nur manchmal.“ (Kurzke, Hermann [19973]: Thomas Mann, S. 132) Eine Annäherung mit Russland ist Manns Herzenswunsch, wird aber gleichfalls problematisch vor dem Hintergrund der Februarrevolution von 1917, die Mann nur von Dostojewski her versteht, als Ausdruck der russischen Seele mit ihrer chaotischen Menschlichkeit, und auf das Ideensystem des Zauberbergs bezieht („russisch-kommunistische Trunkenheit“, Tagebuch vom 10. November 1918).

Das bevorstehende Kriegsende verkürzt Thomas Mann auf die Freihaltung „alles Geistigen, Nationalen, Philosophischen von der Politik“ (Tagebuch vom 12. Oktober 1918), was ihm zu Recht den Vorwurf Heinrich Manns einbringt, Elend und Tod der Völker nur auf die Liebhabereien seines Geistes zuzuschneiden. Bezeichnenderweise wird Thomas Mann auf das Jahr 1918/19 mit dem Kriegszusammenbruch und den deutschen Revolutionen mit der literarischen Form der Idylle und des Versepos' in Hexametern reagieren (Herr und Hund, 1918; Gesang vom Kindchen, 1918/19).

(Kurzke, Hermann [19973]: Thomas Mann, S. 129-134)

(Kurzke, Hermann [1999]: Thomas Mann, S. 236-267)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik