Liebesleid

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Gaudeamus igitur, Valentin-Karlstadt-Musäum

Liesl Karlstadts Versuche, auf eigenen Beinen stehen, haben auch damit zu tun, dass sich Karl Valentin seit einiger Zeit einer anderen Frau zugewandt hat. Sie reagiert empört und eifersüchtig auf diese Liaison, es kommt zu heftigen Szenen. Äußerst sensibel veranlagt, hat ihr das Zusammensein mit dem neurotischen Karl Valentin seelisch so sehr geschadet, dass sie sich in Behandlung begibt. 1934 gerät sie dann auch noch in finanzielle Schwierigkeiten. Valentin überredet sie, ihre Ersparnisse in sein Kuriositäten- und Schaukeller-Panoptikum zu investieren. Doch niemand interessiert sich für die dort ausgestellten Dinge, wie beispielsweise den Stein, mit dem David Goliath erschlagen haben soll. Auch Valentins Vorliebe für mittelalterliche Folterinstrumente ist nicht jedermanns Sache. Eugen Roth, der ihn auf die Perversion eines derartigen Gruselkabinetts angesichts der realen Folter im Konzentrationslager Dachau aufmerksam macht, erlebt sein blaues Wunder.

Nicht lange hernach traf ich ihn auf der Straße, er kam auf mich zu und lachte triumphierend: „Sie, weil Sie g'sagt hamm, dass Ihnen mein Gruselkeller net g'fallt – am selben Nachmittag noch war der Gauleiter Wagner da, was meinen S' wie der g'lacht hat! I hab ihm des erzählt, der Doktor Roth, hab i g'sagt, der hat sich aufg'regt, so was, hat g'sagt, braucht man jetzt net künstlich machen, wo's doch in Dachau und so an der Tagesordnung ist!“ [...] Seitdem bin ich überzeugt, dass der Mensch einen Schutzengel hat und dass er ihn unverhofft brauchen kann – selbst gegen den großen Komiker Karl Valentin.

(Eugen Roth: Valentins Gruselkeller. In: Sämtliche Werke. Fünfter Band. Anekdoten und Erinnerungen. Hanser, München 1977, S. 117f.)

Da fast niemand kommt, um die Schau zu sehen, verliert Liesl Karlstadt in einer Zeit wirtschaftlicher Misere einen Großteil ihrer früheren Einnahmen. Ihr Leben gerät komplett aus den Fugen. Am 6. April 1935 stürzt sich Liesl Karlstadt von der Prinzregentenbrücke in die Isar. Sie wird in die Psychiatrische Klinik in der Nussbaumstraße eingeliefert. Valentin ist schockiert:

Wie sehr Du mir nicht ans, sondern ins Herz gewachsen bist, wirst Du wohl nie erfassen. Ohne Dir ist die Welt für mich völlig inhaltslos. Du hast für mich schon so viel Geduld aufgebracht warum sollst Du es nicht für Dich selbst können [...]. Halte aus! Halte aus! Halte aus im Sturmgebraus.

(Karl Valentin: Brief an Liesl Karlstadt vom 2. Oktober 1935. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 6. „Hochwohlgeborene Firma!“ Briefe. Hg. von Gerhard Gönner. Piper, München und Zürich 1991, S. 72f.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl