Franziska zu Reventlow in Hohenschäftlarn

Die Schriftstellerin, Malerin und Bohemienne Franziska Gräfin zu Reventlow unternimmt von München aus mit ihrem Sohn Radtouren, die sie auch in kleine Dörfer im Voralpenland führen. Die Landpartien werden für sie zum Fluchtpunkt aus dem Alltagseinerlei der Großstadt und zum Inspirationsort für ihre Literatur. Immer wieder begibt sie sich dabei auf Herbergssuche und hält diesen Moment in ihren Tagebüchern fest, mitunter mit Abscheu über die „schmierige Zudringlichkeit“ der Leute:

Aber die Zimmer in der Klosterschenke schon vergeben. Aus Wut darüber beschlossen wegzufahren. Am Abend mich in Kitschroman zur guten Stunde vertieft. Das hab ich manchmal gern, all diese Geschichten furchtbar gesellschaftlichen wie Klänge aus alten Zeiten, und das Nervenberuhigende. –

Vor dem Fenster eine blühende Linde. Die Maus und ich aus Sparsamkeit so in einem Bett geschlafen, mit einiger Angst berechnet, wie weit ich noch reiche, bis Geld kommen kann. Um 4 auf. ½ 6 zum Bahnhof. Alles in Morgennebeln, die Berge nur in Umrissen dahinter, und der Nebel funkelt vor Sonne.

Ein Zimmer genommen, ein paar Stunden geschlafen.

Mittags nach Hohenschäftlarn. Bahnhofrestauration abgestiegen. Man braucht nicht nach Griechenland zu fahren um schmierige Hotels, zudringliche Leute, atmende Sophas und unheimliche Betten zu finden. –

Ich war ganz deprimiert vor Degoût. Diese letzten 3 Stationen, diese hier mit eingerechnet überhaupt wie eine ganz andre Welt, die ich bis jetzt eigentlich noch nie kennengelernt habe. Es scheinen die typischen Sommerfrischen des schiefgetretnen, lahmen, buckligen verkümmerten Kleinbürgertums zu sein. Lauter mißratene Gestalten, die man einstampfen sollte, statt sie wieder aufzufrischen. Pfui Teufel. Es ist wie man manchmal an Festtagen so viel schiefe abscheuliche Gesichter sieht die nur dann einmal aus ihren feuchten Kellern herauskriechen. – – (Zit. aus: Franziska Gräfin zu Reventlow: „Wir sehen uns in Auge, das Leben und ich“. Tagebücher 1895-1910, aus dem Autograf textkritisch neu herausgegeben und kommentiert von Irene Weiser und Jürgen Gutsch. Passau 2006, S. 211-214.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek

Sekundärliteratur:

Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 69, S. 262.