Wie man Räuber macht

Im Sommer 1892 wurde Theresa Kneißl bei dem Versuch, eine in der Wallfahrtskirche Herrgottsruh entwendete Monstranz zu veräußern, in München verhaftet und eingesperrt. Vater Kneißl, der nach der Verhaftung seiner Frau in den Wald geflohen war, wurde kurz darauf ebenfalls gefasst und verletzte sich bei seinem Sprung in den Mühlbach schwer. Mathias älteste Schwester Katharina wurde von den Polizisten gezwungen den Wagen anzuspannen und den Schwerverletzten, dem keinerlei medizinische Hilfe gewährt wurde, nach Dachau ins Gefängnis zu kutschieren. Dort verstarb der Vater. Bei den in der Schachermühle zurückgeblieben Kneißl-Kindern keimte rasch der Verdacht von einem unnatürlichen Tod des Vaters auf:

12. SCHACHERMÜHLE                                                                                                   Innen/Außen/Nacht

Mathias und Alois sitzen am Tisch und warten. [...] Nach einer Weile hört man ein Pferd und einen Wagen. Mathias stößt Alois an.

MATHIAS:    Lois! D' Kadde is do. [...]

KATHARINA:    Unsa Babba is gschdoam. [...]

MATHIAS:    Wos? [...]

KATHARINA:    Gschdoam. Den hams umbrochd. [...]

MATHIAS:    Wos? [...]

ALOIS (nach einer Pause):    Owa. Dez gibz goned. [...]

KATHARINA:    Dee hamna umbrochd! [...]

Die Brüder bleiben in völliger Verwirrung stehen. Stumm.

(Martin Sperr: Der Räuber Mathias Kneißl. Textbuch zum Fernsehfilm. Piper Verlag, Frankfurt am Main 1970, S. 40)

In den 1970er-Jahren wurde Mathias Kneißls Leben im Zuge des Neuen Deutschen Heimatfilms verfilmt. Statt Romantizismus und Volkstümelei erfolgte eine sozialkritische Auseinandersetzung mit Außenseitertum und Gewalt. Der Regisseur Reinhard Hauff drehte 1971 mit einer hochkarätigen Besetzung, zu der neben bekannten Volksschauspielern wie Hanns Brenner und Ruth Drexel auch Eva Matthes, Hanna Schygulla, Rainer Werner Fassbinder und Volker Schlöndorff gehörten, den Film Der Räuber Mathias Kneißl. Das Textbuch zum Film stammt aus der Feder des bayerischen Dramatikers Martin Sperr. In Sperrs Version der Geschichte ist Kneißl weder ein Verbrecher noch ein strahlender Held, sondern ein Opfer der Verhältnisse. Obwohl er sich wehrt, wird er am Ende gebrochen.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl