Königin der Boheme

Als Franziska zu Reventlow sich in 1897 München niederlässt, ist sie glücklich, endlich an einem Ort zu sein, an dem die Normen der wilhelminischen Gesellschaft vehement negiert werden: in Schwabing, dem Stadtteil Münchens, von dem sie sagt, er sei eher ein Zustand als eine geographische Bezeichnung. Ein Bonmot, das in einigen Variationen existiert: Der Maler Wassily Kandinsky spricht von Schwabing als geistigem, der Publizist Erich Mühsam als kulturellem Zustand. In seinen Unpolitischen Erinnerungen zählt Mühsam auf, wer zur Schwabinger Boheme gehört: „Maler, Bildhauer, Dichter, Modelle, Nichtstuer, Philosophen, Religionsstifter, Umstürzler, Erneuerer, Sexualethiker, Psychoanalytiker, Musiker, Architekten, Kunstgewerblerinnen, entlaufene höhere Töchter, ewige Studenten, Fleißige und Faule, Lebensgierige und Lebensmüde, Wildgelockte und adrett Gescheitelte“. Sie bilden „die Massensiedlung von Sonderlingen“, die Franziska zu Reventlow in ihrem Schwabing-Roman Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil unter „Wahnmoching“ subsumiert. Im Streben nach Freiheit geht es vor allem um die Akzeptanz von alternativen Lebensentwürfen. Darin hat die Kunst ihren selbstverständlichen Platz. Die besondere Mischung aus Lebensfreude, Schwärmerei und Irrationalismus wird in Schwabing schnell zur Attraktion. Absoluter Mittelpunkt des Treibens ist schon bald Franziska zu Revenlow. Sie führt am konsequentesten ein Leben jenseits des Konventionellen und Konformistischen.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt