Antonios Sigalas über München III

Am nächsten Tage besuchte ich zum ersten Male die Universität, deren Mauern mir später so lieb werden soll­ten. Unsagbare Freude empfand ich, als ich die über der linken Türe des nördlichen Hofes stehende griechische Inschrift las, auf die mich mein Begleiter aufmerksam machte: „Das Erforschen eines jeden Dings soll über alles gelten, was nützlich erscheint.“ Später bei der Antritts­feier wurde meine Bewunderung noch größer, als ich in die große Aula eintrat, wo mitten auf der Wand (über den Professorensitzen im Hintergrunde) die Aurora in Mosaik gemalt ist, neben anderen Figuren aus der griechischen Mythologie, und ringsherum glänzen die golde­nen Worte: „Strahl der Sonne, schönstes Licht!“ Ganz gerührt kam ich aus diesem Saale heraus. Was ich in Griechenland gehört habe von der großartigen Pflege des altgriechischen Geistes und seiner Schöpfungen, konnte ich hier mit eigenen Augen sehen. Auch später musste ich die Erfahrung machen, dass ganz einfache Leute in München immer wenigstens etwas von Griechenlands Vergangenheit wussten. Und erst ein Student! Der Unterschied war nur, daß die einfachen Leute reine Bewunderung spendeten, dagegen mancher Student in echt bayerischer Offenheit seinen Abscheu vor dem „schwierigen Griechisch“ mir ausdrückte.

Antonios Sigalas, Erinnerungen, 1910 (Zit. aus: Antonios Sigalas. In: Anton Mayer-Pfannholz: Deutsches Alpenland. Ein Heimatbuch. Leipzig 1937, S. 238)

 

Antonios Sigalas, griechischer Schriftsteller; Lebensdaten und Aufenthalt in München: unbekannt

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek