Ödön von Horváth über München III

Gegen den Satan der Fleischeslust ist noch kein Kraut gewachsen, besonders im Fasching nicht. Auch wenn man eingeschriebenes Mitglied der NSDAP ist, erliegt man halt leicht der Versuchung, wie uns dies der Fall Tafelhuber zeigt. Der Tafelhuber Toni war nämlich ein überaus eifriger Hakenkreuzler, aber trotzdem verleugnete er bei der letzten Redoute seinen Hitler, und daran war nur so ein raffiniertes Frauenzimmer, Gott verzeih ihr die Sund, schuld. Die hat den Tafelhuber Toni direkt um ihre Finger gewickelt, akkurat wie die Dalila ihren Samson ... Sie ging als Andalusierin und hatte was für ihn. Sie ist an ihm vorbeigerauscht, und er fühlte sich magisch hingezogen. Und sie hat halt nicht locker gelassen mit ihren verheißungsvollen Augen und den halbgeöffneten sinnlichen Lippen. So wurde er verzaubert. Fünf Mal hat er dann getanzt damit, und zwar gleich hintereinander. Sie presste sich an ihn, und ihm tat das wohl, denn sie war halt kein Krischperl. Hernach wurde er plötzlich romantisch und gebrauchte ein dichterisches Bild, worauf sie sich an seinen Arm hängte und meinte, sie müsse nun etwas trinken vor lauter Linksrum. Er stieg mit ihr auf die Galerie in ein schattiges Eck. Dort setzten sie sich, und wie auf ein Kommando intonierte die Musik eine getragene Weise. Aber das war alles nur Schicksal. Sie trank einen süßen roten Likör, und er sah ihr dabei zu. Dann kamen sie sich immer näher und gaben keinen Ton von sich.

Ödön von Horváth, Wie der Tafelhuber Toni seinen Hitler verleugnet hat, 1930 (Zit. aus: Ödön von Horváth: Wie der Tafelhuber Toni seinen Hitler verleugnet hat. In: Ödön von Horváth: Sportmärchen und andere Prosa. In: Gesammelte Werke 11. Frankfurt a. Main 1988, S. 141f.)

 

Ödön von Horváth (1901-1938), österreichisch-ungarischer Schriftsteller; Aufenthalt in München: 1913 bis 1916 und 1919 bis 1922

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek