Alphonse Daudet über München II

Als ich an einem herrlichen Sonntagabend unter sternenblitzendem Augusthimmel ankam, war die ganze Stadt ausgeflogen. Überall, in den tiefen, kühlen Bierkellergewölben und in den Brauereigärten, in denen bunte Laternen mit mattem Schein hin- und herschaukelten, hörte man Blechinstrumente, die in Triumphnoten schwelgten, während sich zu dem Geräusch der schwer herabfallenden Bierdeckel die Seufzer der Holzinstrumente gesellten. In einer dieser harmonischen Brauereien fand ich den Oberst von Sieboldt, wie er mit seiner Nichte vor seinem ewigen schwarzen Rettich saß. Am Nebentisch nahm der Minister für ausländische Angelegenheiten einen Bock zu sich, und der Onkel des bayerischen Königs leistete ihm dabei Gesellschaft. Ringsherum lauschten gute Bürger mit ihren Familien, Offiziere mit Eingläsern, Studenten mit kleinen roten, blauen, meergrünen Mützen ganz ernsthaft, schweigend, fast fromm den Klängen des Orchesters von Herrn Gungel und sahen dem aufsteigenden Rauch ihrer Pfeifen zu, ohne sich im Geringsten Sorgen um Preußen zu machen, gerade, als existiere es überhaupt nicht.

Alphonse Daudet, 1866 (Zit. aus: Erna Buschow: Alphonse Daudet in München. In: Bayrischer Rundfunk. Redaktion: Hörbild/Inland. Unbekanntes Bayern. Erstsendung: 17. Juni 1962, S. 9)

 

Alphonse Daudet (1840-1897), französischer Schriftsteller und Dichter; Aufenthalt in München: 1866

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek