Hermann Hesse über München

Und weil das Lachen mir eine gute und sehr begehrenswerte Sache schien, darum fragte ich meinen Freund, ob es zurzeit nicht in München wieder einen echten, klassischen Komiker gebe, so wie ich früher hier den einen und ändern schon erlebt hatte. Jawohl, mein Freund wusste mir einen, er hieß Valentin. Er spielte mit einer kleinen Truppe die Raubritter vor München, ein wunderbares Stück, eine außerordentliche Viecherei. Der Zweck des Stückes war der, dem Valentin Gelegenheit zu geben, als Schildwache mit einem langen Säbel auf und ab zu gehen und komische Sachen zu tun oder zu sagen. Manchmal war es auch zum Schluchzen traurig, zum Beispiel wie er in der kühlen Dämmerung an der Stadtmauer saß, die Ziehharmonika spielte und an sein junges Leben, an den Krieg und den Tod denken musste. Oder wenn er lange Zeit nachdenklich von einem Traum erzählte, in dem er eine Ente gewesen war und beinah einen langen Wurm gefressen hätte. An dieser Stelle war, in simpelster Form, die Unzulänglichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens ergreifend zur Darstellung gebracht. Auch diese tragische Stelle wurde, ebenso wie jene mit der Harmonika, mit brausenden Lachsalven begrüßt, nie habe ich ein vergnügteres Haus gesehen. Wie gern doch alle Menschen lachen! Weit von den Vorstädten laufen sie in der Kälte herein, zahlen Geld, warten lang, kommen erst um Mitternacht nach Hause, nur um eine Weile lachen zu können. Auch ich lachte sehr, meinetwegen hätte das Stück bis zum Morgen dauern mögen. Weiß Gott, wann man wieder zum Lachen kommt ... Die Erinnerung an Valentin gehört zu den Kostbarkeiten dieser Reise.

Hermann Hesse, Die Nürnberger Reise, 1947 (Zit. aus: Hermann Hesse: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Kurgast. Die Nürnberger Reise. Der Steppenwolf. Bd. 7. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1970, S. 176-178)

 

Hermann Hesse (1877-1962), deutscher Schriftsteller; Aufenthalt in München: um 1920

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek