Patrick Leigh Fermor über München

Die neoklassische Architektur in diesem stürmischen Winterwetter, die breiten Boulevards, die allgegenwärtige kalte Pracht – all das war Eis für meine Seele. Ungewöhnlich viele SA- und SS-Männer waren auf den Straßen, es wurden anscheinend immer mehr, und überall sah man den Nazigruß wie einen „tic douloureux“. Vor der Feldherrnhalle, wo ein Denkmal an die sechzehn Nazis erinn­erte, die 1923 bei einer Straßenschlacht in der Nähe getötet worden waren, standen zwei SS-Männer mit schwarzen Stahlhelmen und aufgepflanzten Bajonetten Wache wie Gusseisenfiguren, und der rechte Arm jedes Passanten schoss in die Höhe, als hätte er einen Stromstoß erhalten. Diese Ehrenbezeugung zu verweigern war nicht ungefährlich. Man hörte Geschichten von ahnungslosen Ausländern, auf die Fanatiker mit Fäusten losgegangen waren. Dann wurden die Straßen enger.

Patrick Leigh Fermor, Die Zeit der Gaben, 1933/34 (Zit. aus: Patrick Leigh Fermor: Die Zeit der Gaben. Zu Fuß nach Konstantinopel: Von Hoek van Holland an die mittlere Donau. Der Reise erster Teil. Zürich 2005, S. 137)

 

Patrick Leigh Fermor (1915-2011), englischer Reiseschriftsteller; Aufenthalt in München: 1933/1934

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek