Hans Christian Andersen über München

Freitag, der 30. Mai

Morgens auf der Polizeikammer, um ein Visum für meinen Pass zu bekommen. Die wussten nicht einmal, wo der österreichische Minister wohnte. Bei diesem hatte ich eine Art Examen. – „Sie reisen zu Ihrem Vergnügen?“ – „Ja, und wegen der Bildung.“ – „Sie sind ein Gelehrter?“ – „Ein Dichter, dem der dänische König ein Reisestipendium gegeben hat.“ – „Ihre verehrten Schriften sind ins Deutsche übersetzt?“ – „Nein, mit Ausnahme von ein paar kleinen Gedichten, die Chamisso übertragen hat!“ „In welchem Fach arbeiten Sie, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“ – „Fürs Theater, sonst sind es meist lyrische Gedichte!“ – Ich sah nun, wie der Mann etwas auf ein loses Blatt notierte, und meine guten Augen sagten mir: „Andersen, Gedichte, Chamisso!“ – Herrgott, jetzt glauben sie, ich sei ein politischer Skribent!

Hans Christian Andersen, Tagebücher, 1840 (Zit. aus: Hans Christian Andersen: Tagebücher. Hg. v. Heinz Barüske. Bd. 1. Frankfurt a. Main 1980, S. 232-239)

 

Hans Christian Andersen (1805-1875), dänischer Dichter; Aufenthalt in München: 1834

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek