Das Schicksalsjahr 1933

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Jakob Wassermann, vor 1934.

Wie bei Hauptmann oder anderen großen Schriftstellern des S. Fischer Verlages wurde auch für Jakob Wassermann im März 1933 zum 60. Geburtstag ein Sonderheft der Neuen Rundschau herausgegeben, mit Beiträgen von Hans Aufricht, Alfred Döblin, Hermann Hesse, Heinrich Mann, Thomas Mann und Stefan Zweig.

Am 27. Oktober 1926 hatte sich die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste gegründet. Ins Gründungsgremium wurden Ludwig Fulda, Arno Holz, Gerhard Hauptmann und Hermann Stehr berufen. Dem ersten erweiterten Gremium, in das auch Wassermann gewählt wurde, gehörten unter anderem auch Hermann Hesse, Heinrich Mann, Arthur Schnitzler und Franz Werfel an. Später kamen noch Hofmannsthal, Döblin, Frank und Däubler dazu.

Fast sieben Jahre später, am 19. Februar 1933, bekam Heinrich Mann, der amtierende Präsident der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste bei einer Soiree im Hause Georg Bernhards, dem Chefredakteur der Vossischen Zeitung, einen entscheidenden Hinweis. Harry Graf Kessler notiert: „Abends Musik und große Gesellschaft bei Georg Bernhards. Viele Diplomaten, François-Poncets, Minnigs, ferner Hummels, Abeggs, Heinrich Mann usw. Abegg sprach mit mir lange über die Lage. Die Nazis planten ein Blutbad; er wisse das aus den genauesten Informationen. Es seien Listen aufgestellt, Proskriptionslisten, nach denen systematisch gemordet werden solle, wahrscheinlich um oder kurz nach den Wahlen. Ich solle mich vorsehen. Er warnte auch Heinrich Mann.“ Dr. Wilhelm Abegg war Ministerialdirigent und dann Staatssekretär im preußischen Innenministerium bis Juni 1932 und verfügte über gute Kontakte zur Polizei. Angesichts der Warnung verzichtete Heinrich Mann darauf, eine Rede zum 60. Geburtstag von Jakob Wassermann zu halten und reiste zwei Tage später bereits ab.

Heinrich Mann hatte Anfang Februar 1933 ein Manifest mitunterschrieben, in dem gefordert wurde, dass sich angesichts der Gefahr einer endgültigen Machtübernahme Hitlers SPD und KPD zu einer Einheitsfront durchringen müssten; einige Mitglieder der Akademie erzwangen daraufhin (noch vor den Wahlen des 5. März) seinen Rücktritt. Am 14. März 1933 sandte Max von Schillings an alle einunddreißig ordentlichen Mitglieder der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste eine vertrauliche, von Gottfried Benn entworfene Anfrage, die mit Ja oder Nein zu beantworten war: „Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Regierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinn der veränderten geschichtlichen Lage.“ Jakob Wassermann antwortete am 18. März: „Ich bin zu jeder loyalen Mitarbeit, zu jeder Aufbau-Arbeit an der Akademie grundsätzlich bereit, da mein ganzes Werk und Sein auf nichts anderes abzielt als auf Aufbau und Erneuerung. Doch müsste ich, bevor ich eine offizielle Erklärung abgebe, erst wissen, ob mich die der Akademie vorgesetzte Behörde als Juden überhaupt annehmen wird. Sonst habe ich ja zu gegenwärtigen, dass man mir nach Abgabe der Erklärung trotzdem den Stuhl vor die Türe setzen wird.“

Nach einer uneindeutigen Antwort des Akademiepräsidenten Max von Schillings erklärte Wassermann am 29. März schriftlich seinen Austritt aus der Akademie: „Sehr geehrter Herr von Schillings, da Ihre Zuschrift mich über meine zukünftige Mitarbeit an der Akademie im Ungewissen lässt und ich eine weitere Nachricht bisher auch nicht erhalten habe, halte ich es aus Gründen meiner persönlichen Ehre für geboten, meinen Rücktritt zu erklären und meinen Sitz in der Akademie der Staatsgewalt wieder zur Verfügung zu stellen. Ich betone dabei nochmals, dass es mein redlicher Wille gewesen ist, an der nationalen Aufbauarbeit im Rahmen der Akademie mit den mir zur Verfügung stehenden Kräften teilzunehmen.“ Alfred Döblin, Thomas Mann und Ricarda Huch traten ebenfalls umgehend aus. Weitere neun der insgesamt siebenundzwanzig Mitglieder der Abteilung Dichtkunst antworteten mit „Nein“ und verließen die Akademie, darunter René Schickele, Bernhard Kellermann, Leonhard Frank, Georg Kaiser, Alfred Mombert, Fritz von Unruh, Ludwig Fulda, Rudolf Pannwitz und Franz Werfel. Oskar Loerke wurde seiner Funktion als ständiger Sekretär der Sektion für Dichtkunst enthoben, Gottfried Benn führte das Amt kommissarisch weiter. Am 24. März schickte Wassermann eine Art Durchhaltebrief an seinen Verleger Samuel Fischer, in dem er ihn bat, sich nicht in diesen düsteren Zeiten zu ducken, sondern, wie er selbst, an das große Werk zu denken.

Im Mai 1933 standen alle Werke Wassermanns auf der Schwarzen Liste des Börsenblattes für den Deutschen Buchhandel. Das war nicht gleichbedeutend mit einem Verbot, machte aber auf den Verlag gehörigen Eindruck. Als im Oktober 1933 das Börsenblatt als Sprachrohr der von Goebbels neu eingerichteten NS-Institution Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums schwere Vorwürfe gegen die holländische Exil-Zeitschrift Die Sammlung und den deutschen S. Fischer Verlag richtete, musste der S. Fischer Verlag um sein Bestehen fürchten, und bedrängte seine Autoren – darunter Wassermann, Döblin und Thomas Mann – sich öffentlich von der Sammlung zu distanzieren. Währenddessen hatte seine Ex-Frau Julie über ihren Anwalt Wassermanns Verlagskonto sperren lassen, was ihn in eine fatale finanzielle Situation brachte.

Im Oktober 1933 beendete er seinen Roman Joseph Kerkhovens dritte Existenz und schickte das Manuskript nach Berlin. Dort lehnte man eine Veröffentlichung vorerst ab. Ende November traf sich Wassermann mit seinem Verleger Gottfried Bermann Fischer in Wien und erlitt dabei einen schweren Herzanfall.

Nach einem zehntägigen Spitalaufenthalt reiste Wassermann, auch um Geld zu verdienen, nach Holland. Aus Sparsamkeit nächtigte er in einer ungeheizten Unterkunft, was sich auf seinen extrem angeschlagenen Gesundheitszustand natürlich fatal auswirkte. Nachdem Anfang Dezember sechs seiner Bücher, darunter Der Fall Maurizius und Etzel Andergast, auf der endgültigen Schwarzen Liste des Börsenvereins erschienen, verfestigte sich im Verlag die ablehnende Haltung im Hinblick auf die Veröffentlichung des neuen Romans. Aber man bat Wassermann, sich nicht an einen anderen Verlag zu wenden, man wollte ihn als Autor des S. Fischer Verlages nicht verlieren. Doch der tief enttäuschte Wassermann übergab das Manuskript noch im Dezember 1933 an den Querido Verlag in Amsterdam, wo der Roman 1934 postum erschien.

Verfasst von: Dr. Thomas Kraft