Die Münchner Jahre

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Josef Benedikt Engls Illustration der satirischen Kurzgeschichte „Das neue Licht“ im Simplicissimus (1896), Bd. 1, H. 2, S. 4.

Später arbeiten Wassermann und Thomas Mann einige Monate zusammen in der Redaktion des SimplicissimusKorfiz Holm hatte Mann gleichsam von der Straße weg mit einem Monatsgehalt von einhundert Mark als Lektor und Korrektor engagiert. Holm war inzwischen zum Interims-Verleger aufgestiegen; Hintergrund war der Skandal um die so genannte „Palästina-Nummer“ der Zeitschrift und eine darauf folgende Anklage wegen Majestätsbeleidigung. Frank Wedekind hatte eine in seinen Augen überflüssige Reise Kaiser Wilhelms II. nach Palästina verspottet, und Thomas Theodor Heine dafür das Titelbild gezeichnet: Der ehemalige Kreuzzügler Gottfried von Bouillon hält Kaiser Wilhelms Tropenhelm in der Hand und wendet sich an Friedrich Barbarossa mit den Worten: „Lach nicht so dreckig, Barbarossa, unsere Kreuzzüge hatten ja eigentlich auch keinen Zweck“. Wedekind und Heine wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, der Verleger Albert Langen setzte sich nach Paris ab und blieb dort vier Jahre lang im Exil. Korfiz Holm sollte dem entstehenden Chaos in der Redaktion als zeitweiliger Herausgeber Einhalt gebieten. Ludwig Thoma löste Frank Wedekind als politischer Autor des Satireblattes ab und erinnerte sich, wie immer ein junger Mann in der Uniform eines bayrischen Infanteristen in die Redaktion kam, einen Stapel Manuskripte unter dem Arm, die er für den Verlag geprüft hatte, und seine Auswahl der Redaktion übergab. Er verhielt sich sehr zurückhaltend, sprach nur gemessenen Tons, und man erzählte von ihm, dass er an einem Roman arbeite. Der Infanterist hieß Thomas Mann, und der Roman erschien später unter dem Titel Die Buddenbrooks (1901).

Im gleichen Jahr erschien bei S. Fischer der dritte Roman Wassermanns, Die Geschichte der jungen Renate Fuchs. Der Roman wurde überwiegend positiv besprochen: Alfred Gold in der Wiener Zeit las den Roman als „ein Frauenbuch unter Gesichtspunkten, unter denen man die Frau noch nicht oft gesehen hat und heute – im Zeitalter rationalistischer Kämpfe – weniger als irgend jemals. Ein Buch, das über jede Tendenz hinauswächst in eine ästhetisierende, großartige, dichterische Auffassung“. In einem Brief an Olga Gussmann im Juli 1900 schrieb Arthur Schnitzler: „Renate Fuchs von Wassermann hab ich beinah zu Ende gelesen, ein höchst merkwürdiges Buch, von einer Dumpfheit, aber wie von tausend Blitzen durchleuchtet. Sie müssen es ganz sicher lesen. Es wirkt wie die Vorstufe zu dem großen Roman, zu dem ganz großen, der für unsere Zeit in Deutschland noch nicht geschrieben ist, und Wassermann könnte ihn schreiben, wenn nicht ein Defekt da wäre, auf dessen Wesen ich noch nicht ganz sicher gekommen bin – wahrscheinlich ist's der tiefe Intellekt, der fehlt.“ Schnitzler brachte es genau auf den Punkt: Viele Kritiker und Autoren spürten das immense Talent Wassermanns, aber sie zweifelten meist daran, dass ihm der große Wurf, ein auch literarisch gesehen bedeutender Roman gelingen würde.

Doch es gab auch boshafte, zum Teil hetzerische Reaktionen wie von Willy Rath, der den Roman als „ein Produkt der Form-, der Treibhauskunst“ denunzierte, oder von Richard Schaukal in der mittlerweile von völkischen Tendenzen ergriffenen Zeitschrift Die Gesellschaft, der den Roman als „ein sehr schlechtes Buch“ bezeichnete, das dennoch »nicht uninteressant (sei) als Typus einer dem deutschen Geiste seit Jahren aufgenötigten spezifisch semitischen Kunst“.

Höchst aufschlussreich und charakteristisch für die stete Konkurrenz, die Thomas Mann im Hinblick auf den Kollegen Wassermann offenbar empfand, war seine Reaktion auf die antisemitische Kritik Schaukals an Renate Fuchs. Neben sehr vielen freundlichen Worten und Taten Manns für Wassermann tauchten in regelmäßigen Abständen kleine Tiraden und Seitenhiebe, Sticheleien und Herabminderungen auf, mit denen der eifersüchtige Mann jeden Erfolg seines Kollegen kommentierte. Thomas Mann gab Schaukal weitgehend Recht in seinen Attacken gegen Wassermann, biederte sich ihm aber gleichzeitig auf eine Art und Weise an, die man nicht unbedingt erwartet hätte:

Ihre Wassermann-Abfertigung in der Gesellschaft ist streng, aber nicht ungerecht. Besonders in Hinsicht auf ein Wort muss ich Ihnen beipflichten: ›unerlebt‹. – Wollen Sie übrigens glauben, dass man Wassermann und mich hier verwechselt? Uns wenigstens, seit dem Erscheinen von Buddenbrooks, beständig in einem Athem nennt und – lobt? Ich lasse es geschehen ... Wenn Sie aber über mein Buch schreiben sollten, so würde es mich freuen, wenn Sie mit gutem Gewissen dagegen protestieren könnten. W. verfügt gewiss über viel litterarisches Talent, aber ich halte ihn für einen innerlich armen Faiseur. Wie gesagt, es würde mich freuen, wenn Sie mir bestätigen könnten, dass in meinem Buch ein wenig mehr Herkunft, Erlebnis, Absicht, Ernst, Leidenschaft steckt, als in dem seinen.

Wassermann wusste vermutlich nichts von diesen Invektiven, und blieb dem Lübecker ein Leben lang freundschaftlich verbunden. Denn in der Öffentlichkeit setzte sich Mann überaus freundlich und engagiert für den Kollegen ein, darüber wird noch zu berichten sein. Der treue Arthur Schnitzler hingegen wies Schaukal, der Wassermann auch brieflich übelst beschimpft hatte, in die Schranken.

Wassermann erweiterte währenddessen durch regelmäßige Reisen seinen beträchtlichen Freundeskreis: „Waren Gäste der Concordia in Prag, so wurde ich wohl auch öfters zu Tisch in die Heinrichsgasse, später in die Wohnung am Celakovskyplatz beim Museum gebeten: zusammen mit Dehmel, Wassermann, Salten und dem allerdings blassen Plauderer Raoul Auernheimer“, so berichtete Max Brod 1904 aus Prag, und im gleichen Jahr entwickelte sich eine Korrespondenz mit Hermann Hesse, die in gelegentliche Treffen und dem Austausch von Büchern mündete. Auch seine seltsame Freundschaft mit Thomas Mann fand ihre stete Fortsetzung; so besuchte er ihn im Herbst 1905 in München und „wir verbrachten eine angenehme Plauderstunde im Café“.

Verfasst von: Dr. Thomas Kraft