Indienbilder in der Lyrik

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Edwin Lord Weeks: "Street Scene in India", Öl auf Leinwand, ca. 1885.

Indien wird auch in der deutschsprachigen Lyrik immer wieder thematisiert. Neben dem bereits erwähnten Dauthendey zum Beispiel in Alfred Momberts (1872-1942) Der Held der Erde (1918), Hugo Balls (1886-1927) Buddha und der Knabe (1913), Agnes Miegel (1879-1964) Die Götter Indiens (1920) und Bertolt Brechts (1898-1956) Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus (1937), das wiederum von Gjellerups Pilger Kamanita inspiriert ist. Brecht, der in Augsburg aufwächst, später in München studiert und dort erste Erfolge feiert, sieht sich des Weiteren in seinem Lustspiel Mann zu Mann. Die Verwandlung des Packers Galy Gay in den Militärbaracken von Kilkoa im Jahre neunzehnhundertfünfundzwanzig (1926) von Indien inspiriert. Er hilft auch seinem Münchner Freund Feuchtwanger bei der Überarbeitung seines thematisch verwandten Dramas Kalkutta, 4. Mai (1915). In dem Exilgedicht konzentriert Brecht sich, wie damals üblich, auf das spirituelle Indien, speziell auf Buddha. Buddhas Weisheit verwendet Brecht – so mag man es deuten –, um auf das Missverhalten im Nationalsozialismus aufmerksam zu machen. Wie bei den nachfolgenden Autor*innen des äußeren wie inneren Exils sucht man in Indien nach Antworten für die Probleme in der (einstigen) Heimat.

Genauso befasst sich Rainer Maria Rilke (1875-1926) in seinem Gedicht Schlangen-Beschwörung (1907/08) mit Indien. Das Gedicht entsteht über zwei Dekaden nach seinem Aufenthalt in München, wo er kurzzeitig studiert, die Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé (1861-1937) kennenlernt und mit ihr eine kleine Wohnung in Wolfratshausen bezieht. Auf den ersten Blick mutet es ähnlich exotistisch wie die meisten anderen an, zumal das Gedicht die exotische, oftmals bedichtete Schlangenbeschwörung beschreibt. Allerdings nur vermeintlich, denn Rilke bringt das Traumatische zum Ausdruck, das die Begegnung mit dem Fremden in einem hervorrufen kann, wenn er schreibt: „so hat der Inder/ dir eine Fremde eingeflößt,/ in der du stirbst. Es ist als überstürze/ glühender Himmel dich. Es geht ein Sprung/ durch dein Gesicht. Es legen sich Gewürze/ auf deine nordische Erinnerung,/ die dir nichts hilft...“ (Rainer Maria Rilke: Die neuen Gedichte anderer Teil. Leipzig 1919, S. 52.) Wie bereits Heine vor und andere Schriftsteller*innen nach ihm findet Rilke einen Weg, das romantische Bild aufzunehmen, es gleichzeitig jedoch zu hinterfragen bzw. um einen anderen Aspekt zu erweitern.

Verfasst von: Dr. Krisha Kops