Der Künstlerhut

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Foto: Ursula Hasenkopf

Für einen Künstler gilt es, den eigenen Kopf zu schützen. Das weiß der Kinoerzähler aus Erfahrung. Sein Künstlerhut bietet ihm Schutz vor fremden Gedanken. Der Kinoerzähler ist ein anderer, wenn er seine Erzählmontur und vor allem den Künstlerhut trägt. Plötzlich sprudeln die Worte, die er zuvor mühsam hat suchen müsse, aus ihm heraus. Er fühlt sich mit seinem Künstlerhut gleich kompetenter und vollständiger. Er nimmt ihn nur ab, wenn der Kopf Luft zum Denken braucht. Kaum hat er seinen Frack an, kommen die Sätze schon. Er traut sich mehr zu, stärkere Ausdrücke, mehr Nebensätze, ungewöhnlichere Vergleiche und überraschendere Wendungen, Bilder. Als er durch das Aufkommen des Stummfilms seine Stellung verliert und arbeitslos wird, mag er den Künstlerhut nicht mehr aufsetzen. Er hat kein Recht mehr dazu. Der Hut und die Künstlerkleidung erfüllen die Funktion einer Uniform, bieten Legitimation und Festigkeit, wo Unsicherheit und Schwanken herrscht.

Was aber ist zu tun, wenn der Kopf plötzlich kleiner wird und die Bedeckung keinen zuverlässigen Schutz mehr bietet? Der Großvater weiß Rat:

„Ich werde mir eine Zeitung ins Futter stopfen müssen, falls ich ihn in diesem Leben noch einmal aufsetzen sollte, sagte er zu mir.

Ich fragte: Weshalb solltest du ihn denn nicht mehr aufsetzen?

Ich werde nicht mehr lange mit von der Partie sein, sagte er.“

(Der Kinoerzähler)

Verfasst von: Gunna Wendt