Erinnerung und Fiktion

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Foto: Ursula Hasenkopf

Gert Hofmann, was ist ein Kinoerzähler?

Was ein Kinoerzähler ist, das weiß ich von Zuhause. Mein Großvater ist ein Kinoerzähler gewesen. Ein Kinoerzähler ist etwas, was es heute nicht mehr gibt, denn heute erzählt sich der Film ja selber. Mein Großvater war ein Mann, der im Kino sowohl Klavier gespielt, als auch die Filme eingeführt und kommentiert hat. Was ich geschrieben habe, ist also eine Art Nekrolog auf etwas, was es nicht mehr gibt, eigentlich auf zwei Dinge: sowohl auf den Kinoerzähler als solchen, wie auf meinen Großvater, den es auch schon ein halbes Jahrhundert nicht mehr gibt.

Der Kinoerzähler ist ein Künstler! Und er glaubt nicht nur an die Berechtigung, sondern an die Notwendigkeit seiner Kunst des Geschichtenerzählens, obwohl das Publikum immer kleiner wird.

Ja, gewiss. Das Publikum läuft ihm weg. So war es. Ich habe keine großen Überlegungen angestellt über die Geschichte des Films, ich habe einfach die Geschichte meines Großvaters erzählt, so wie sie in meinem Kopf war und wie ich sie nach vielem Graben wieder zum Leben holen musste. Denn als mein Großvater starb, als die Geschichte also endgültig vorüber war, war ich dreizehn, vierzehn Jahre alt. Die Sache liegt tatsächlich in der fernsten Vergangenheit. Ich habe nachdenken müssen.

War es schwierig, so tief in die vergangene Zeit einzusteigen?

Nein, eigentlich nicht, aber es lag nicht an der Oberfläche. Ich habe mit meiner Frau und mit meinen Freunden oft Gespräche darüber geführt. Nun ist ja Schreiben überhaupt, für mich jedenfalls, eine Art Erinnerungsarbeit, besonders wenn es biografisches Schreiben ist. Die Sachen liegen ja nicht an der Oberfläche. Man muss sich in sie hineinversetzen. Und da ich selbst inzwischen ein Alter erreicht habe, wo ich Großvater sein könnte, bedeutete es für mich, eine ziemliche Entfernung zurückzulegen, um in meine Kindheit zurückzukommen. Eine schöne Reise eigentlich! Ich habe viele Dinge wiederentdeckt, an die ich gar nicht mehr dachte und die ich eigentlich für immer für gestorben hielt.

Die dann wieder aufgetaucht sind in der Arbeit?

Die dann wieder aufgetaucht sind. Natürlich ist so ein autobiografisches Buch nicht von A bis Z die pure Wahrheit. Ich meine, da wird viel hineinfabuliert, aber der Leitfaden, die Leitlinie, an der ich mich festgehalten habe, ist doch eigentlich der Großvater, wie er war und mein Leben, wie es damals war.

Das Autobiografische spielt eine wichtige Rolle, aber es ist keine Autobiografie, das Buch?

Was ist da der Unterschied? Wie kann man von einem Menschen, der fünfzig Jahre tot ist und von einer Geschichte, die fünfzig Jahre zurückliegt, sagen, was wahr ist und was erfunden ist? Ob man das nun Autobiografie oder Erzählung nennt, es läuft letzten Endes auf dasselbe raus. Ich glaube nicht, dass man so einfach sagen kann, das ist vor fünfzig Jahren wahr gewesen, und das habe ich erfunden. Ich glaube, alles, was man über Dinge sagt, und wenn man es mit noch so großer Gewissheit bringt, hat sehr viel Erfundenes an sich. Es ist einfach die Zeit, die dazwischen liegt.

Verfasst von: Gunna Wendt