Der Schrei

„Nun, der Schrei ist natürlich das Entsetzen, nach dessen Ursache ich, das gebe ich zu, bis jetzt vielleicht noch nicht geduldig genug geforscht habe. Ich will es aber noch tun. Und will, wenn ich den Schrei male, also das Entsetzen malen, das, was davon zu sehen ist.“

(Der Blindensturz)

Um den Schrecken darzustellen, ist dem Maler fast jedes Mittel recht. Er will aufklären und aufrütteln und benutzt die Blinden dazu. Sie reißen ihre Münder auf, schließen die Augen und horchen ihren Schreien nach. Dann straucheln sie und stürzen und liegen kurz in der Luft. So will der Maler sie malen. Er lässt sie durch den Freund bitten, das nächste Mal nicht ganz so rasch zu fallen, sondern den Sturz etwas zu dehnen. Es sei ihm nämlich nicht möglich, den Sturz so schnell auf der Leinwand festzuhalten. Allerdings, so fügt er hinzu, sei ihr Äußeres eigentlich nicht wichtig, sogar überflüssig. Es lenke ihn von seinem künstlerischen Gegenstand ab.

Der Gegenstand, den er mit Hilfe der Blinden in seiner Darstellung einfangen will, ist die Verfassung der Welt und der Menschen.

Die Blinden protestieren dagegen, zu bloßen Objekten degradiert zu werden. Sie wollen wissen, warum er sie malt, was er davon hat, was sie davon haben oder was die Welt davon hat. Könnte man nicht auch etwas anderes für sie tun, ihnen helfen oder sie trösten? Sie bekommen auf ihre Fragen keine Antwort und ziehen weiter.

„Dann fassen wir unsere Stöcke fester und gehen leise ein paar Schritte über die Erde des Herrn und durch die Dunkelheit des Herrn und durch die Scheune des Herrn, in die man uns geschoben hat. Wir fangen nämlich an zu zittern, wenn wir uns lange nicht bewegen. Jedenfalls stoßen wir nach ein paar Schritten an eine Bretterwand. Die, da gibt es keinen Zweifel, eine alte Bekannte ist. (rufen) He, hier ist eine Bretterwand. (Sie klopfen daran) Die kennen wir ja schon.“

(Der Blindensturz)

Verfasst von: Gunna Wendt