Rosengarten

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© Thomas Lang

Im barocken Rosengarten, der zur neuen Residenz gehört, hat man einen schönen Ausblick auf die verwinkelten Dächer der Altstadt, die nächste große Kirche auf dem nächsten Hügel und natürlich eine Menge Rosensträucher. An diesem warmen Abend finden etwa vierzig Menschen den Weg hierher zum, wie es heißt, dritten offiziellen (Klassik)-Konzert der Saison. In Unterschied zum Orgelkonzert im Dom ist die Atmosphäre betont locker, selbst mit den Masken nimmt man es nicht so genau. Die Serenade widmet sich der Viola d’amore.

Um acht soll es losgehen, aber da läuten erst mal die Glocken. Als sie wieder schweigen, erhebt sich der Moderator mit der launigen Bemerkung, dass die Messner heute ja einigermaßen gleichzeitig geläutet hätten, während sie sonst gern versetzt begännen, weil jeder glaube, er habe den schönsten Klang zu bieten. Weiters spricht er davon, dass es bei den Konzerten normalerweise Schilder für ein Einbahnstraßensystem gebe, „in der Mitte hergehen und dahinten raus, aber ich denke, auch wenn Sie jetzt an der Balustrade langgehen und gruppenmäßig beisammen bleiben, oder den entsprechenden Abstand halten –. Bisher hat es keine Probleme gegeben, und ich gehe davon aus, dass es heute auch keine geben wird.“ Das sind Worte, die mir eine gängige Haltung zu Hygienekonzepten und Infektionsrisiken ganz gut wiederzugeben scheinen.

Wir sitzen locker in Gruppen zusammen um eine kleine Treppe zu dem barocken Bau, in dem sich das Rosengarten-Café befindet und vor dem gleich ein rumänisches Musikerpaar mit seinen Violen auftreten wird. Die entspannte Stimmung hängt vielleicht damit zusammen, dass hier im Grunde nichts neu ist – die Rosengarten-Serenaden gibt es seit dreißig Jahren.

Seit dem frühen Abend bezieht der Himmel sich mit immer dunkleren Wolken. Zusammen mit zwei anderen Stipendiatinnen spekuliere ich darüber, ob es ein Gewitter geben wird oder nicht. Ich sage: nein. Ob ich nun recht behalten werde oder nicht, im Moment streicht der aufkommende Wind sachte erfrischend über unsere Arme. Ich habe am Eingang ein Glas Wein mitgenommen, ausgeschenkt von Schülerinnen des E.T.A.-Hoffmann-Gymnasiums, das nun neben mir auf einem leer gebliebenen Stuhl steht. Der überaus sanfte Klang der Violen lullt mich allmählich ein, und da ich für den Abend ein kurzärmeliges Hemd angezogen habe, fühle ich mich in dem feinen Garten bei der wohltemperierten Musik unter den gepflegten Leuten als Teil der guten Gesellschaft. Die Musikerin sagt ein Stück an, das nicht auf dem Programmzettel steht. Man entschuldigt sich. Den Worten ist zu entnehmen, dass die Veranstalter Angst hatten, für das Stück Gema-Gebühren zahlen zu müssen. Diese Furcht entstand jedoch, wie sich jetzt zeigt, aus einer Verwechslung zweier Komponisten mit dem gleichen Namen.

In den Fenstern und Türen hinter dem Musikerpaar sitzen zum Teil noch alte Glasscheiben und verzaubern das Licht und die Wände im Innern des Cafés. Die perfekten industriellen Scheiben von heute, die weiter rechts eingesetzt wurden, können das nicht. Den Mann aus dem Duo ärgert kurzfristig eine Wespe, und einmal, kurz nach dem Einsatz zu einem neuen Stück, hebt der Wind ein Blatt vom Notenständer, und die beiden müssen von vorn beginnen. Zu den Wäscheklammern, die jetzt schon die Blätter festhalten sollen, kommen weitere hinzu. Der Musiker scheint ein großes Reservoir davon in seinen Hosentaschen zu haben.

In der Pause bemerke ich einen Putto mit Atemschutzmaske. Es ist eine von den runden, steiferen, wie sie beim Medizinbedarf zu finden sind, und sie steht der niedlichen Statue gar nicht schlecht. Immer wieder setzen Menschen Skulpturen Masken auf, wie um das Spiegelbild zu korrigieren. Auch die roten Scheißerla tragen eines Abends schwarze Masken und sogar die riesige Schnecke oberhalb der Münchener Theresienwiese trug in diesem Frühjahr – jedenfalls auf dem Foto – einen ebenso riesigen Mund-Nasenschutz. Nun sucht man bei Schnecken vergeblich nach einer Nase, aber auch keine Nase lässt sich schließlich bedecken.

Genau zur Pause regnet es tatsächlich ein bisschen. Nachher rücken wir unter den Schirmen zusammen, mit ein bisschen Hin und Her lässt sich der vorgeschriebene Abstand weiterhin einhalten. Die Musiker kommen der empfindlichen Instrumente wegen mit unter den Schirm, stellen sich, als es später wieder trocken ist, aber zurück auf ihre alten Plätze. Die Viola d’amore ist kein genormtes Instrument wie etwa die Geige. Ihre Größe kann variieren und weder die Zahl der Saiten noch deren Stimmung sind festgelegt. Etwas Besonderes sind die Resonanzsaiten, also solche, die nicht direkt gestrichen oder gezupft werden, sondern mitschwingen. Aber auch die sind nicht vorgeschrieben für dieses Instrument. Die Musikerin erklärt, dass Resonanzsaiten keine europäische Erfindung seien, weshalb manche Forscher die Meinung verträten, das Instrument habe sich unter indischem oder afrikanischem Einfluss entwickelt. Möglicherweise habe es ursprünglich, Viola da mori - Viola der Mauren geheißen.

Als das Konzert endet, ist es bereits dunkel. Wir verlassen den Hof der Residenz und eiern den Domberg hinab über das ewige Kopfsteinpflaster.

Verfasst von: Thomas Lang