Zwei mutige Frauen

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Am 1. Januar 1933 gründete Erika Mann das „literarische Cabarett Die Pfeffermühle“ mit der Absicht, adäquat und effizient gegen den Nationalsozialismus zu protestieren. Sie vertraute auf ihre Fähigkeiten: Schreiben, Vortragen, ein Ensemble aufbauen und zusammenhalten, PR-Arbeit leisten. In einem Interview aus den 1960er-Jahren erklärte Erika Mann, ihr Freund, der Komponist und Pianist Magnus Henning sei der eigentliche Initiator der Pfeffermühle gewesen. Er habe ihr im Herbst 1932 berichtet, die traditionsreiche Brettlbühne Bonbonniere, auf der einst Größen wie Frank Wedekind aufgetreten waren, verliere immer mehr an Niveau – vor allem durch die „dritt- und viertklassigen Kabaretts“, die sich dort präsentierten. Er schlug vor: „Warum sollten wir nicht dort einmal auftreten und etwas Besseres machen?“ Erika war sofort Feuer und Flamme und weihte ihren Bruder und die „große Giehse“ ein. Für Therese war es Ehrensache, Erika bei ihrem Projekt zu unterstützen.

Die Intention der Pfeffermühle war auf einen einfachen Nenner zu bringen: der Kampf gegen Hitler. Die Pfeffermühle eröffnete Therese Giehse die Möglichkeit, „dem Theaterspielen ohne innere Notwendigkeit“ zu entkommen und ihre Utopie des politischen Theaters zu realisieren. „Es musste außer dem Finanziellen erheblichen Sinn und Verstand haben.“ Ende 1932/Anfang 1933 scheute sie nicht die enorme Belastung, die es bedeutete, weiterhin an den Kammerspielen zu arbeiten und die Neugründung und die Programmentwicklung der Pfeffermühle zu betreiben.

In seinem Lebensbericht Der Wendepunkt würdigt Klaus Mann das Verdienst der Giehse ausführlich: Nachdem er seine Schwester Erika als die Seele der Pfeffermühle bezeichnet hat, ergänzt er umgehend: „Nein, die Pfeffermühle hatte eine Doppelseele; die andere Hälfte hieß Therese Giehse.“ Er rühmt ihren unbedingten Einsatz, ihre Intensität, ihre starke Vitalität und ihr enormes Können, das sie in das Unternehmen einbrachte und ihm so zu Aufmerksamkeit und Erfolg verhalf.

Erika Mann blickte anlässlich Therese Giehses 70. Geburtstag am 6. März 1968 auf ihr gemeinsames Projekt zurück:

Am 1. Januar 1933 – 29 Tage vor Antritt des neuen Kanzlers – eröffneten wir in der Münchner Bonbonnière „Das literarische Cabaret, die Pfeffermühle“. Gründer: Klaus und ich, die Giehse und Magnus Henning, unser Musikus. Was wollten wir? Die Nazis bekämpfen. Deshalb nannten wir uns literarisch. Aus Berechnung und – obwohl  wir auch das waren – unvermeidlich, quasi heillos, von Hause aus. Regie: Giehse; Star: Giehse; Co-Direktion: Giehse.

Namensgeber des Kabaretts war kein geringerer als Thomas Mann. Er war auf Anhieb begeistert von der Idee seiner Tochter, als sie bei den Mahlzeiten im Elternhaus davon berichtete. In der Bogenhausener Villa fand sich meistens die ganze Familie Mann zum Essen zusammen. Die Eltern, besonders der Vater, schätzten die Anwesenheit der ältesten Tochter sehr. Erika war diejenige, die die Suppe salzte. Und wo Salz ist, ist Pfeffer nicht weit. Als sie ausführlich von ihren Plänen erzählte, ein mutiges politisches Kabarett zu gründen und die anderen in die Namenssuche einbezog, nahm der Vater plötzlich die Pfeffermühle in die Hand und fragte: „Wie wär's denn damit?“ Der Name war gefunden.

Der Eröffnungsabend war ein großer Erfolg. Im Publikum saßen Katia und Thomas Mann, Otto Falckenberg, Bruno und Liesl Frank. Den einzigen Wermutstropfen bildeten „drei blöde Nazis in einer Ecke“, berichtet Klaus Mann in seinem Tagebuch. Stolz erwähnt er die „glanzvolle Kritik von Hausenstein“. Der namhafte Kritiker berichtete in der Frankfurter Zeitung (undatiert), in München sei ein neues Kabarett eröffnet worden, dessen Niveau so hoch sei, dass man es sich auch in Paris vorstellen könne. Er verwies auf die literarische Verwurzelung in der Familie Mann, die ein Garant sei für Qualität und lobte Erikas Fähigkeiten als Conférencière: „Man hat die Dinge eines Kabaretts wohl selten so charmant ansagen hören: mit so viel Distinktion, mit so viel Anmut und so überzeugend damenhaftem Stil.“ Als herausragend bezeichnet er die Leistung Therese Giehses, „die auch hier eine phänomenale Künstlerschaft entwickelte“. Nicht zu übertreffen sei ihr Vortrag der Verse des großen Francois Villlon. Es sei dieser „ungewöhnlichen Darstellerin“ nicht schwer gefallen, einen natürlich Übergang zu „lokal-münchnerischen Dingen komischer Art“ herzustellen.

Auch in Zürich nahm man das neue Münchner Kabarett wahr. Am 15. Januar 1933 gab es in der „Münchner Chronik“ der Neuen Zürcher Zeitung einen ausführlichen Artikel über das „Unternehmen der Familie Thomas Mann“. Allein Erika Manns Conférence sei den Besuch wert. Ihr Charme bedeute in der Geschichte des deutschen „Brettls“ etwas Neues. „Man lässt sich die Frauenemanzipation gern gefallen, wenn sie mit so viel lächelnder Eleganz verbunden ist.“

Erwartungsgemäß empfand der Völkische Beobachter das neugegründete Kabarett nicht als Bereicherung des Münchner Kulturlebens. Die Einstellung des Blattes zur Initiatorin Erika Mann war eindeutig. Bereits vor einem Jahr, als diese sich zum ersten Mal politisch geäußert hatte, war sie bösartig niedergeschrieben worden. Doch nun arbeitete sie eng mit einer Schauspielerin zusammen, die zu dieser Zeit noch die größte Anerkennung der Nationalsozialisten genoss und die Hitler als „völkische Schauspielerin“ verehrte. Daher räumte das Blatt am Ende seines Verrisses ein, dass es dennoch Momente gebe, die Wirkung zeigten, sei nicht der Initiatorin und Regisseurin zu verdanken, sondern der starken Persönlichkeit der Schauspielerin Therese Giehse.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Gunna Wendt