Pazifistische Verse mit kämpferischer Note

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Erika Mann spricht Worte zur Abrüstung aus "Die deutsche Zukunft". Foto aus der Ausstellung „Erika Mann. Kabarettistin – Kriegsreporterin – politische Rednerin“ in der Monacensia im Hildebrandhaus.

Erika war froh, dass sie in Therese eine gleichgesinnte Partnerin hatte, mit der sie Pläne für ein politisches Theater schmieden konnte. Gemeinsam, als „Doppelseele“, wie es Klaus Mann ausdrückte, erfanden sie eine Fluchtlinie, die zugleich Haltepunkt war: die Pfeffermühle.

Erika Manns erster brisanter politischer Auftritt fand jedoch schon ein Jahr vor der Gründung ihres Kabaretts statt: am 13. Januar 1932 auf der Großen Öffentlichen Frauenversammlung im Hotel Union in der Barerstraße in München. Die Kundgebung stand unter dem Motto „Weltabrüstung oder Weltuntergang“ und wurde veranstaltet von drei Münchner Organisationen: der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, deren Vorsitzende Constanze Hallgarten, Rickis Mutter, war. Außerdem waren der Frauenweltbund für Internationale Eintracht und der Weltfriedensbund der Mütter und Erzieherinnen beteiligt. Eingeladen waren Frauen aller Richtungen und Parteien, aller Konfessionen und Klassen. Das Flugblatt mahnte: „Auf jede Einzelne kommt es an! Erscheint in Massen!“

Klaus Mann schreibt in seinem Tagebuch, Erika habe sich krank gefühlt, er habe sie begleitet. Es sei ihr gelungen, das Publikum mit ihrer Schlussrede zum Thema „Deutsche Zukunft“ zu begeistern, wofür sie starken Applaus erhielt. Klaus nennt ihren Auftritt „sehr rührend-eindrucksvoll“, erinnert sich an ihr weißes Gesicht und berichtet von einem „aufregenden Störungsversuch“ einiger „Nazi-Buben“, die sich Zutritt zu der Kundgebung verschaffen wollten, was eine „kurze Panik“ ausgelöst habe.

Erika hat die Situation 1940 in ihrem Text Don't Make The Same Mistakes als bedrohlich geschildert und gleichzeitig ihre eigene Gefährdung heruntergespielt. Als sie ihre „pazifistischen Verse“ mit „kämpferischer Note“ vortrug, sei das Publikum unruhig geworden. Es gab Buhrufe und andere Störversuche, doch sie machte weiter. Der Lärm vor dem Saal schwoll immer mehr an, bis die Türen aufflogen und „dreißig oder vierzig Männer in den Braunhemden der SA“ hineinstürmten. Einer mit hassverzerrtem Gesicht sei ihr sehr nahe gekommen und habe sie als Verbrecherin, jüdische Verräterin und kulturbolschewistische Hetzerin beschimpft. Sie habe erfolglos versucht, ihn zu beruhigen, der Lärm sei so stark angeschwollen, dass sie ihn nicht übertönen konnte. Auf der Galerie gab es eine Schlägerei, im Saal ein „wahnsinniges Getümmel“, das in eine Massenhysterie mündete.

Gefährlicher als der wie auch immer geartete Störversuch an Ort und Stelle waren die nachträglichen Reaktionen in der Presse: Am 16. Januar 1932 berichtete der Völkische Beobachter über „Pazifistische Frechheiten der Internationalen Frauenliga“. Die Kundgebung sei eine „Schmach“ gewesen, „die einen Rückfall in die landesverräterischen Umtriebe von 1918 bedeutet“. Erika Manns Auftreten sei dabei ein „besonders widerliches Kapitel“ gewesen. Sie habe sich als Schauspielerin bezeichnet, die ihre „Kunst“ (im Artikel in Anführungszeichen) „dem Heil des Friedens“ widme. „In Haltung und Gebärde ein blasierter Lebejüngling, brachte sie ihren blühenden Unsinn über die deutsche Zukunft vor.“ Der Artikel endet mit der Drohung: „Das Kapitel Familie Mann erweitert sich nachgerade zu einem Münchner Skandal, der auch zu gegebener Zeit seine Liquidierung finden muss.“

Erika Mann zog aus dieser Erkenntnis die Konsequenz und entschied sich, nun mit vollen Kräften gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Sie wusste, dass sie sich dabei auf Therese Giehse verlassen konnte, die felsenfest an ihrer Seite stand – nach wie vor der Star der Kammerspiele war, nur von den Nationalsozialisten nicht nur geduldet, sondern nach wie vor bejubelt. Hitler verehrte sie als „völkische Schauspielerin“. Der Völkische Beobachter frohlockte: „Endlich ein deutsches Weib in diesem verjudeten Haus.“ Sie war über diese Gunstbezeugungen entsetzt und machte keinen Hehl daraus, dass sie Jüdin war. Doch das konnte die Begeisterung Hitlers für den Star der Kammerspiele nicht schmälern. Man blieb dabei, dass sie eine reinrassige Deutsche sei – nach dem Motto „Wer Jude ist, bestimme ich!“ Hitler ging so weit, das Judentum seiner Lieblingsschauspielerin als böswillige Verleumdung abzutun und ihr einen Schutzbrief anzubieten. Es hätte absurder nicht sein können: Die Faschisten boten ihr Saalschutz an – vor ihren eigenen pöbelnden Gefolgsleuten. Ein Angebot, das Therese Giehse nicht nur ablehnte: Ihr Widerstand wurde immer heftiger. Die Welt schien gänzlich aus den Fugen zu sein: Als Kind war sie als Jüdin ausgegrenzt und als Christusmörderin diffamiert worden. Zwanzig Jahre später wurde ihr von den Nationalsozialisten das Judentum abgesprochen, damit sie weiterhin unbelastet ihre Kunst genießen konnten. Ihre eindeutige Positionierung wurde ignoriert. Doch man hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Wut und Empörung stärker waren als ihre Angst.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Gunna Wendt