Thereses legendäre Sturheit

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbthemes/2020/klein/KAPIV_1GerhartHauptmann_500.jpg
Gerhart Hauptmann, Fotografie von Nicola Perscheid (1914)

Nachdem Therese die Schule verlassen hatte, befand sich Therese in einer kreativen Aufbruchstimmung. Sie war mutig, wollte sich ihren Platz in der Welt erobern, die Welt verändern und dafür lernen, arbeiten. Wann sich ihre Aufmerksamkeit auf das Theater gerichtet und der Plan, Schauspielerin zu werden, bei ihr herausgebildet hat, ist nicht bekannt. Das Theater spielte in dieser Zeit eine wichtige Rolle in den Großstädten. Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs verlangte nach neuen Lebensentwürfen. Junge Dramatiker, deren Stücke sich der Gegenwart annahmen – Naturalisten, Expressionisten – drängten auf die Bühnen: Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Carl Sternheim, Ludwig Thoma, Ernst Toller, Heinrich Mann. Sie wollten schockieren, erschrecken, angreifen. Theater sollte den Menschen die Augen öffnen, sie dazu bewegen, sich für sich selbst verantwortlich zu fühlen und einzusetzen. Eine Haltung, mit der sich Therese Giehse identifizieren konnte. Endlich sah sie für sich eine Perspektive. Sie wollte den aufrüttelnden Texten der jungen Dichter ihre Stimme leihen und sich ihrer Provokation anschließen.

Der Wunsch, Schauspielerin zu werden, erschien der jungen Therese so selbstverständlich, als sei er schon immer vorhanden gewesen. Doch die Familie war skeptisch, denn Therese brachte nicht die äußerlichen Voraussetzungen und entsprach nicht dem damaligen Schönheitsideal. Auf die Einwände ihrer Familie antwortete sie: „Ich will ja nicht schön sein, ich will bloß zum Theater!“ Gegen so viel Eigensinn war die Familie machtlos.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Gunna Wendt