Die Anfangszeit des Poetry Slams in München

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Ko Bylanzky, 2019 © Gabriele Bieler, Poetry Slam München, Planet Slam

Den ersten Versuch, einen regelmäßig stattfindenden Poetry Slam in München zu etablieren, wagt 1995 der Radiojournalist Karl Bruckmaier – und scheitert. Inspiriert von den Poetry-Slam-Erfahrungen, die er während ein USA-Reise machte, veranstaltet er in der Kultkneipe Substanz einen sogenannten Literaturslam.

Ko Bylanzky (*1972) ist Poetry-Essayist, Literaturveranstalter und heute der mit Abstand bedeutendste Slammaster Münchens. Er hat von Anfang an entscheidend zum Aufbau der Münchner Slam-Szene beigetragen und beschreibt seinen ersten Besuch von Bruckmaiers Veranstaltung so:

Das doch recht geräumige Substanz war mit vielleicht 50 Personen nur im vorderen Drittel gefüllt, anfangs zumindest. […] Karl Bruckmaier führte lustlos durch den Abend und zur Siegerin wurde eine ältere Dame gekürt, die ein Operettenliedchen trällerte und von der Jury Bestnoten erhielt. […] Und man erzählte mir, dass diese ältere Dame zwei Monate zuvor mit demselben Lied schon mal triumphiert hatte.
(Bylanzky, 2017, S. 17)

Als Bruckmaier, enttäuscht von der mangelnden Qualität der Auftritte, das Projekt trotz überregionaler medialer Aufmerksamkeit nach knapp einem Jahr einstellt, wittern andere ihre Chance.

So findet unter der Regie von Rayl Patzak, Alf Maier, Lisa Cameron und Jürgen Bulla am 11. Februar 1996 – wieder im Substanz – der erste Munichslam statt. Das Format findet von nun an monatlich statt und nach kurzer Zeit steigt auch Ko Bylanzky mit in das Projekt ein. Er und Patzak sind seit der Schulzeit befreundet und entwickeln sich bald zu den Hauptorganisatoren der Veranstaltung.

Im Vergleich zu Bruckmaiers Literaturslam wird dabei vieles verändert, so Ko Bylanzky:

Wir hatten den Tisch und den Stuhl von der Bühne entsorgt, die Jury abgeschafft, die Applausabstimmung eingeführt und losten aus allen, die sich in die, am Eingang ausliegende, offene Liste eingetragen hatten, acht Starter_innen für den Wettbewerb. Um den Abend abzurunden und zusätzlich Publikum zu locken, engagierten wir eine Münchner Indie-Band für die Pause. Ob das, was wir zu bieten hatten, objektiv betrachtet wirklich viel besser war, vermag ich nicht zu sagen. Wir hatten jedoch unseren Spaß, was nicht zuletzt an unserem immensen Alkoholkonsum auf und jenseits der Bühne lag.
(Bylanzky 2017, S. 17f.)

Das neue Konzept lockt nun monatlich viele Leute ins Substanz und es folgen wilde Anfangsjahre. Ko Bylanzky erinnert sich an Abende,

[…] als ich mich hinter das Schlagzeug einer Band setzte, um einen überfälligen Poeten abzubrechen, während Rayl ihn durch den Club jagte, um ihm das Mikrophon abzunehmen, als ein selbsternannter Künstler sich nach Goetz’sher Manier mit Rasierklingen traktierte und anschließend noch teeren und federn wollte oder sich zwei Teenies auf unserer Bühne ewige Freundschaft schworen. Auf jeden Fall war es wild und undergroundig, irgendwie aber auch lähmendes Chaos.
(Bylanzky & Patzak 2002, S. 153f.)

Mehr Struktur kommt in die Veranstaltung, als Bylanzky und Patzak ab 1999 damit beginnen, die Auswahl der Auftretenden mit zu beeinflussen. Während die eine Hälfte sich weiterhin spontan über eine offene Liste anmelden kann, wird die andere Hälfte nun von den Veranstaltern eingeladen. So haben auch Slammerinnen und Slammer von außerhalb die Gelegenheit aufzutreten und gleichzeitig steigt die Gesamtqualität der Auftritte. Aus demselben Grund treten heute im Substanz nur noch geladene Gäste auf.

Verfasst von: Marina Babl

Sekundärliteratur:

Stefanie Westermayr: Poetry Slam in Deutschland. Theorie und Praxis einer multimedialen Kunstform. Marburg 2010, S. 64.

Ko Bylanzky: Poetry Slam – Wiegenjahre eines Unterhaltungsformats. In: Karsten Strack und Michael Serrer: Poetry Slam. Das Handbuch. Paderborn 2017, S. 17.

Ko Bylanzky und Rayl Patzak: Planet Slam. Das Universum Poetry Slam. München 2002, S. 153f., 163, 165.

 

Externe Links:
Website Substanz