Literarische Serientäter

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Gift © Reprodukt

Der Bremer Autor Peer Meter beschäftigt sich immer wieder mit Comics. Seit 2006 entwickelt er als Szenarist mit deutschen Zeichnerinnen und Zeichnern, unter anderem Barbara Yelin, Isabel Kreitz, Gerda Raidt und David von Bassewitz, Graphic Novels, die über die Grenzen des deutschsprachigen Raums Beachtung gefunden haben und in mehreren Sprachen übersetzt wurden. Besonders erfolgreich ist die Serienmörder-Trilogie, die sich in unterschiedlichen zeichnerischen Stilrichtungen den drei deutschen Serienmördern Karl Denke (Vasmers Bruder mit David von Bassewitz, 2014), Fritz Haarmann (Haarmann mit Isabel Kreitz, 2010) und Gesche Gottfried (Gift mit Barbara Yelin, 2010) widmet. Gemeinsam ist allen drei Graphic Novels die Herangehensweise, die den Fokus der Narration nicht auf die Taten selbst, sondern auf das sie umgebende Umfeld, die Gesellschaft, die dem Täter erst sein Vorgehen ermöglicht, richtet. Hier seien kurz die beiden Bücher vorgestellt, die in Zusammenarbeit mit Zeichnern mit bayerischem Hintergrund entstanden sind.

 

Gift

Barbara Yelins eindringliche Bilder kommen seitenweise ohne Text aus, sie versteht es, mithilfe vieler Verwischungen und Schraffuren eine Atmosphäre universalen Grusels heraufzubeschwören. Papier, Bleistift und Radiergummi, mehr brauchte sie dafür nicht. Und Bremen, Stadt der Schatten, bekommt in diesem herrlich morbiden Panorama genau die Mörderin, die es verdient.

Brigitte Preissler, Die Welt

Die Graphic Novel ist der erste auf Deutsch erschienene Band von Barbara Yelin und thematisiert die fünfzehnfache Giftmöderin Gesche Gottfried und ihre Hinrichtung 1831.  Unter den Opfern waren ihre Ehemänner, Eltern und Kinder. Im Mittelpunkt steht jedoch eine junge Schriftstellerin, die wenige Tage vor der Exekution der Gesche Gottfried in die Hansestadt reist, um einen Bericht über das „schöne Bremen“ für einen englischen Verlag zu schreiben. Was ihr begegnet, ist das dunkle Bremen, das die Augen vor den Geschehnissen verschlossen hat und mit seiner rigiden Haltung Frauen gegenüber selbst zu den Taten der psychisch gestörten Frau beigetragen haben könnte: „Gesche ist nichts anderes als ein auf die absurdeste Weise auf die Spitze getriebenes Beispiel einer aggressiven und rücksichtslosen Gesellschaft." (S. 130) „Da wundert es mich nicht ... wenn in dieser Stadt Frauen dahin kommen ... ihre Männer zu vergiften!“ (S. 71) Nicht die Schuld des kranken Individuums steht im Zentrum, sondern die Versäumnisse der Gesellschaft.

Der Comic baut immer wieder Teile der Prozessakten ein und versucht so, sich der bis heute nicht greifbaren historischen Figur zu nähern, deren Taten immer noch Rätsel aufgeben, da das Motiv nie wirklich geklärt werden konnte. Habgier oder Geisteskrankheit? Einerseits Morde und Arsengaben in nicht tödlichen Mengen an Familie, Nachbarn und Freunde, andererseits bekam sie von ihrer Umgebung den Beinahmen „Engel von Bremen“ wegen ihrer Hilfsbereitschaft und der Hingabe, mit der sie sich um ihre kranken Anverwandten kümmerte.

 

Vasmers Bruder

Wenn Du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich hinein.

Dieses Zitat von Friedrich Nietzsche ist der Graphic Novel, mit der die Trilogie 2014 ihren Abschluss gefunden hat, vorangesetzt. Es ist Einstimmungshilfe, Motto und Lösungsansatz in einem. Entstanden ist der Band in Zusammenarbeit mit David von Bassewitz, der in Erlangen und Würzburg studiert hat. Auch in diesem Buch geht es um einen Serienmörder, dessen Motive bis heute nicht geklärt sind, um eine Persönlichkeit, die von den Nachbarn angesehen war und dennoch Landstreicher dutzendweise abschlachtete. Karl Denke, der „Kannibale von Münsterberg“ (heute poln. Ziebice), erschlug über zwanzig Jahre lang bis zu seinem Selbstmord 1924 mindestens 30 Menschen, weidete sie aus, verzehrte sie (ob er das Fleisch auch weiterverkaufte, ist nicht geklärt) und verarbeitete Haut und Knochen beispielsweise zu Hosenträgern weiter. Über seine Opfer wurde von ihm genauestens Buch geführt.

Auch in diesem Comic wird nicht die Geschichte des Mörders erzählt, sondern die einer Spurensuche. Diesmal ist es ein junger Mann in der heutigen Zeit, der – auch hier wieder eine mediale Perspektive – Recherchen für einen Fernsehbeitrag über den Mörder machen soll und dann von seinem Bruder in der Kleinstadt gesucht wird. Erzählt wird das in unklar abgegrenzten Panels, verwischten Bildern, deren Details manchmal unscharf, manchmal von erschreckender Schärfe sind. Die Bilder lassen sich nicht von einer strengen Linie umfassen, sondern wabern über ihre eigentliche Grenze hinweg. Und so verwischen auch die Grenzen einer historischen und aktuellen Bedrohung beim Protagonisten und Rezipienten. Realität und Fiktion gehen ineinander über.

 

Quellen:

Peer Meter: Gesche Gottfried. Eine Bremer Tragödie. Ed. Temmen, Bremen 2010.

Peer Meter, Barbara Yelin: Gift. Süddt. Zeitung GmbH, München 2011.

Peer Meter; David von Bassewitz: Vasmers Bruder. Carlsen, Hamburg 2014.

 

Externe Links:

Serienmörder-Trilogie (Peer Meter)

Homepage David von Bassewitz

Gesche Gottfried in der Populärkultur (Weser Kurier)

SPIEGEL-Artikel über Karl Denke

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Ingold Zeisberger