Oberpfälzer Passionsspiele im 19. und 20. Jahrhundert

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Szene aus der "Tirschenreuther Passion" (Kreuzweg). Foto: Stadt Tirschenreuth

Zur Geschichte

Zumindest für größere Orte lässt sich im Raum der heutigen Oberpfalz seit dem Spätmittelalter eine Tradition des geistlichen Spiels ausmachen. In Amberg brachte die Fleischhackerzunft am Fronleichnamstag 1468 ein „Spil [von] sant Jorge und de[m] lintwurm“ zur Aufführung, das mit einiger Sicherheit in eine kirchliche Prozession am Fronleichnamstag eingebunden war. Möglicherweise waren in den Kampf des Ritters Georg mit dem Drachen – als Symbol für den Sieg über das Böse – Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu Christi eingefügt, wie dies für entsprechende Umgänge im bairisch-tirolischen Raum bezeugt ist. Aus dem Jahr 1524 ist ein Einladungsschreiben des Amberger Rats an die Nachbarstädte überliefert, mit der Ankündigung, am 4. Sonntag nach Ostern (Kantate) auf öffentlichem Platz die „figurn des passion unnd leiden Christi“ präsentieren zu wollen. Die Formulierung „so gewondlichen zu osterlichen zeiten gehaltn“ lässt darauf schließen, dass sich in der Hauptstadt der oberen Pfalz zu diesem Zeitpunkt bereits eine geistliche Spieltradition herausgebildet hatte.

Im Zeichen barocker Frömmigkeit erlebte die szenische Präsentation von Leiden und Sterben Jesu Christi seine größte Blüte. Insbesondere erneuerte Orden wie die Franziskaner und Kapuziner nutzten das geistliche Spiel als sinnliche Frömmigkeitsübung im Sinne der katholischen Erneuerungsbewegung. Im 17. und 18. Jahrhundert geriet die dramatische Inszenierung der Passionsgeschichte gleichsam zu einer „Pflichtaufgabe“ (Walter Hartinger) von Kleinstädten, Märkten und Dörfern. So kamen beispielsweise in Burglengenfeld, Eschenbach, Furth im Wald, Hohenfels, Kemnath, Neustadt an der Waldnaab, Regenstauf, Rötz, Schwandorf oder Waldsassen „Passions Comedien“ und Karfreitagsprozessionen mit dramatischen Einlagen zur Aufführung, groß angelegte, ausdrucksstarke Inszenierungen im Freien mit einer Vielzahl von Mitspielern.

Einen massiven Einschnitt bedeuteten die staatlichen und kirchlichen Verbote der Aufklärungszeit. Tatsächliche oder angebliche Entgleisungen und Missbräuche dienten der Obrigkeit dabei als Vorwand, um die nun als „Aberglauben“ empfundenen Spielformen nachdrücklich zu untersagen.

Oberammergauer Passionsspiel, Kreuzigung, 1871. Fotografie

 

Wiederbelebung im 19. und 20. Jahrhundert

Erst seit dem späten 19., vor allem aber im 20. Jahrhundert ist in der Oberpfalz wiederum eine lebendige Passionsspiellandschaft erwachsen, die das lokale christliche Erbe in volksnaher Form bewahren, pflegen und sinnlich vergegenwärtigen kann. Weitaus früher hatte man in den Franziskanerklöstern Dietfurt (1827, bis heute) und Berching (1856, mit Unterbrechungen bis 1968; seit 1982 in der Pfarrkirche St. Lorenz) die szenischen Ölbergandachten wiederbelebt. Getragen wurden und werden die Passionsaufführungen – religiöse „Volksschauspiele“ im eigentlichen Sinn – von einem großen Gemeinschaftssinn der Autoren, Veranstalter und Mitwirkenden, durchwegs Laienschauspielern, deren innere Anteilnahme deutlich spürbar ist. Mancherorts ist daraus eine kontinuierliche Spielpflege erwachsen. In ihrer ernsten Ausdruckskraft werden die Spiele vom Leiden und Sterben Christi, ob Wiederbelebung bzw. Erneuerung barocker Texte oder literarische Neuschöpfung, dabei zum religiösen Erlebnis, und zwar gleichermaßen für Darsteller wie Zuschauer.

Verfasst von: Manfred Knedlik / Bayerische Staatsbibliothek

Sekundärliteratur:

Bullemer, Timo (2012): Chamer Karfreitagsprozessionen und Passionsspiele. In: Beiträge zur Geschichte im Landkreis Cham 29, S. 191-198.

Dünninger, Eberhard: Kontinuität und Erneuerung in bayerischen Passionsspielen im 19. und 20. Jahrhundert. In: Henker, Michael u.a. (Hg.): Hört, sehet, weint und liebt. Passionsspiele im alpenländischen Raum (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur, 20). München 1990, S. 75-80.

Eichenseer, Erika: „Eine andächtige und unterhaltende Gewohnheit“. Passionsspiele in der Oberpfalz: Verbreitung, Verbote und Wiederbelebung. In: Burglengenfeld auf dem Nordgau. FS zum 26. Bayerischen Nordgautag in Burglengenfeld. Kallmünz 1986, S. 68-72.

Eichenseer, Erika und Adolf J. (Hg.): Oberpfälzer Ostern. Ein Hausbuch von Fastnacht bis Pfingsten. Regensburg 1996.

Knedlik, Manfred (1993): Christliches Erbe in volksnaher Form. Passionsspiel in Kemnath. In: Literatur in Bayern 31, S. 50f.

Ders. (Hg.) (1993): Kemnather Passion. Die Spielhandschriften des 17. und 18. Jahrhunderts. Textausgabe und Kommentar. Pressath.

Ders. (2002): „... zum Trost und Nuzen der eingepfarrten Seelen“. Passionsspiele und Karfreitagsprozessionen in der mittleren Oberpfalz. In: Industrie und Kultur. FS zum 34. Bayerischen Nordgautag in Maxhütte-Haidhof. Kallmünz, S. 113-121.

Ders. (2009): „… zu gedechtnus des Herren Christi Passion“. Geistliches Spiel im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Amberg. In: 1034 – Amberg 975 Jahre – 2009. Eine Stadt im Zentrum des historischen Nordgaus. FS zum 38. Bayerischen Nordgautag in Amberg. Amberg 2009, S. 183-188.

Ders. (2010): Wenn die Jünger in Mundart sprechen. Passionsspiele in Tirschenreuth. In: Literatur in Bayern 99, S. 61-66.

Ders. (2014): Passionsspiele im Landkreis Cham. In: Cham – die Stadt am Regenbogen. FS 40. Bayerischer Nordgautag. Regensburg, S. 128-133.

Ders. (2016): Neumarkt als Passionsspielort – heute und gestern. In: Neumarkt – Pfalzgrafenstadt mit Tradition und Zukunft. FS zum 41. Bayerischen Nordgautag. Regensburg, S. 164-167.

 

Externe Links:

Neumarkter Passionsspiele 2019

Kemnather Passion

Passionsspiele im Landkreis Cham

Passionsspiele in Bayern (Datensammlung vom Haus der Bayerischen Geschichte)