Izidor Krsnjavi über München

Es war mitten im Sommer (1870), da durchschwirrte plötzlich die Stadt das Gerücht, dass ein Krieg mit Frank­reich bevorstehe. Es klang unglaublich. Der bayerische Landtag trat zusammen, um zu entscheiden, ob Bayern an dem Krieg teilnehmen werde. Die Situation war aufs Äußerste gespannt. Dr. Sepp sprach: „Ich bin zum Generalredner meiner Partei gewählt worden, um gegen den Krieg zu sprechen. Nachdem uns aber im Laufe des heu­tigen Tages aus Paris schmachvolle Anträge zugekommen sind, kann ich mich als ehrlicher Mann nicht anders als für den Krieg aussprechen.“ ... Als die liberalen Abgeord­neten und Dr. Sepp beim Haupttor die Gasse betraten, wurden sie enthusiastisch begrüßt. Es ertönte der Ruf: „Zum König!“ Die ganze Menschenmenge strömte nun vor die Residenz. Ich lief natürlich mit. Unterwegs kamen wir an einem Wirtshaus vorbei, in dessen Tür eine Kell­nerin stand. Sie sagte: „Alle, die da schreien und laufen, müssen gewiss nicht in den Krieg!“ Ich musste über mich selbst lachen, denn der Ausspruch der Kellnerin traf mich mehr als irgendeinen! Vor der königlichen Residenz ange­kommen schrie die Volksmenge ungezählte Hochrufe hi­nauf, und es wurde auch gerufen, der König möge sich zeigen. Da kam ein Adjutant des Königs auf die Gasse und überbrachte der Menge den Dank des Königs und das Ersuchen, die Menge möge auseinandergehen, da derKönig wichtige Sitzungen halte und ungestört arbeiten muss. Die Leute standen nun ratlos da. Nach Hause wollten sie nicht und dabeibleiben sollten sie nicht.

Izidor Krsnjavi, Die Münchner Ereignisse, 1923 (Zit. aus: Izidor Krsnjavi: Die Münchner Ereignisse. In: Die Dräu. Unabhängiges Tagblatt. Organ für Politik und Volkswirtschaft. Nr. 260. Osijek 1923)

 

Izidor Krsnjavi (1845-1927), kroatischer Maler und Kunsthistoriker; Aufenthalt in München: 1869 bis 1879

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek