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Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern 2022 an Daniel Bayerstorfer

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Daniel Bayerstorfer mit Kunstminister Markus Blume. © Wolfgang Maria Weber/StMWK

Lyrik, Comics und Romane: Am 28. September 2022 wurden in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 22 Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Kunstminister Markus Blume mit den Förder- und Arbeitsstipendien des Freistaates Bayern ausgezeichnet. Unter den geförderten Publikationsvorhaben finden sich Lyrik-, Erzähl- und Comicbände ebenso wie die Geschichte einer potenziellen Amour fou sowie eine im 19. Jahrhundert angesiedelte gesellschaftskritische „biofiction“. Das Literaturportal Bayern stellt in den kommenden 11 Wochen jeweils zwei der Preisträgerinnen und Preisträger mit einem Porträt, der Laudatio und einem Textauszug vor.

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Daniel Bayerstorfer, 1989 in Gräfelfing geboren, arbeitet und lebt in München. Er schreibt Prosa und Lyrik und ist als Literaturvermittler und Übersetzer aus dem Chinesischen und Italienischen tätig. Sein Debüt Gegenklaviere erscheint 2017 bei Hochroth München. In Zu­sammen­arbeit mit Tobias Roth entsteht das in der Zeit der Münchner Räte­republik ange­siedelte Kurz-Epos Die Erfin­dung des Rußn, das 2018 im Aphaia Verlag publiziert wurde. Bayerstorfer ist Mitorganisator der Münch­ner Lesereihe meine drei lyrischen ichs sowie des Festivals Großer Tag der Jungen Münchner Literatur, das im Jahr 2015 erstmals stattfindet. Er unterrichtet Kreatives Schreiben, u.a. am Literaturhaus München und am Lyrik Kabinett München. Seine Gedichte, Essays und Erzählungen sind in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften erschienen. 2021 erhält er das Sonderstipendium der Stadt München für ein Nature-Writing-Langgedichtprojekt sowie das Münchner Literaturstipendium. Unlängst wurde ihm das Aufenthaltsstipendium des Berliner Senats im Literarischen Colloquium Berlin zugesprochen.

Laudatio von Dr. Pia-Elisabeth Leuschner:

Die Gedichte in Daniel Bayerstorfers Projekt Neulich starb Antigone überspannen einen weiten zeitlichen Bogen von mythischen Ursprüngen der Materie bis zu einer Zukunft jenseits des Menschen. Ausgehend von der Löwengrube, die mit dem biblischen Traumdeuter und Endzeitpropheten Daniel assoziiert ist, entwickeln sie Perspektiven auf Erd-, Kultur- und Zivilisationsgeschichte und erkunden innerhalb einer Vielzahl lyrischer Formen zugleich das Erzählen als Modus der Welterschließung. Plastische Sprachbilder – wenn etwa Autobahnen „wie Gnus“ an die Stadt treten und sie leertrinken – kultureller Anspielungsreichtum, virtuose Registerwechsel und Sprachphilosophie bilden Konstellationen von schillernder Vielschichtigkeit, die auch Gedichte in bayerischer Mundart umfassen: spielfreudig-drastisch und oft hinreißend komisch.

© Wolfgang Maria Weber/StMWK

© Wolfgang Maria Weber/StMWK

 

Auszug aus Neulich starb Antigone (Lyrikvorhaben)

Vom Birnbaum des Königs stehlen, aber nicht nur die Früchte,
nein, auch die Kühle, für Taschen und Schläfen. Ein Gewitter geht
durch deine Augenbrauen. Du wurdest erst vor Kurzem geboren.
Nur dein Kontingent an Kohlenstoff reicht weiter zurück, bis zu
den Wachstumsfugen des Nils, der Pubertät der Hebriden.
Manchmal kippt dein Körper in die Finger und das Unwetter hat
in deinen Haaren an Wucht verloren, es knistert und die Forschung
unterscheidet: weibliche Löwen sind Jäger, männliche
Krieger. Die hier dösende Bettler, die sich in Prinzen verwandeln,
wenn sie hungern. Narbengewebe scheckt ihr Fell, das Hinterbein
von einem Exemplar ist gebrochen wie das Rückgrat der Nacht.
Du gehst an ihnen auf und ab. Hier Geschichte, da Evolution.
Quadrigen poltern darüber, über der Grube, dass der Sand
von der Decke nur so rieselt. Sie bauen und bauen. Das ist ok so.
Vielleicht sogar gut. Damals wie heute gilt: Architektur ist
die Urbarmachung von Licht.

Nebukadnezars Herz ist verkieselt und in seinem Traum von der
Statue sind ihre Zehen aus Lehm und Eisen. Seltene Erden die Lunge.
Wem schlägt die Wüste? Entsicherte Nacht. Maria Stuart. Kokain.
Die Haare, Ähren, gülden Protein, und ein Rücken, so herrlich wirkungs-
äquivalent wie masseistgleichlichtgeschwindigkeitimquadrat,
oder was auch immer die Zeit an die Strecke vom Kinn zum Ober-
schenkel bindet und entfesselt. Die Statue, sag mir, hat im Bauch-
nabel das Mittelalter gebunkert, in den Tränensäcken waten die
Dragoner von Wallenstein, mit klappernden Scharnieren.
Eisenschlamm, der auf sie regnet, der sie mürbe macht.
Rostgepanzerte Bakterien, zu schwer für diese Nacht. Sieh zu:
Augustus, oder: wie die Kupferwiesen lächeln, wie sich sein
Name ausdehnt, weit über die Silben hinaus, wenn die Brust
Rom ist, die Handfläche ein Gebiet, wie teuer lebt es sich
unter den Fingernägeln? Eine Zunge, Schnalzen wie
ausgerollter Stacheldraht, das sagt: Da ist eine
Legierung von Netzhaut und Blick. Im Dickdarm wird nach
Palladium geschürft. Die Rippen allerdings sind abgebaut, zu
Barren gegossen. Die Fäuste verdampfen. Bedenke: Drei Reiche,
die sich in China bekriegen, wo die Kiefern sich den Nebel, der
sie hüllt, aus den Zapfen schütteln, Pfeile hageln, Tee aus Bronze.
Die Zeit ist am Knie geknickt.