Observationsverhör mit Roman Ehrlich (2)

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Filmstill aus "7. Literarischer Salon auf Schloss Edelstetten - Roman Ehrlich" (c) Literaturschloss Edelstetten

Das Projekt hieß Writing under Observation; eingeladen in die Klausur der Schwabenakademie Irsee war als Landgastschreiber der Autor Roman Ehrlich. Roman Ehrlich verbrachte von April bis Mai 2021 mehrere Wochen in Irsee. Eine in diesem Rahmen organisierte Lesung im Schloss Edelstetten kann hier als Video besichtigt werden.

Begleitet wurde Ehrlichs Aufenthalt von einem literaturwissenschaftlich-ethnologischen Seminar (LMU München und Universität Augsburg), in dem Roman Ehrlich in der Seminarsitzung wöchentlich Rede und Antwort stand. Zusätzlich führten die Teilnehmenden insgesamt fünf Observationsverhöre, die viele Themen umfassten, sich auf einzelne Seminarsitzungen bezogen und auf die sogenannten Produktionstagebücher, die Ehrlich einmal in der Woche auf seinem Blog postete. Wir dokumentieren hier die Texte, die im Rahmen von Writing under Observation entstanden sind.

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„Als der, der diese Bücher geschrieben hat, würde ich am liebsten hinter sie zurücktreten.“

Gespräch mit Observationsgruppe (I) am 21. April 2021

 

Roman, fühlst Du Dich beobachtet? Stören wir Dich eigentlich gerade?

(Roman lacht) Meine ursprüngliche Vermutung war, dass es unter Umständen so ist wie mit Schrödingers Katze – wenn man die Kiste aufmacht, ist sie tot. Um auf die Frage zu antworten: Nein, ich bin sehr neu in dieser Konstellation, wie wir alle. Ich bin gerade erst in diesem Ort angekommen und es herrscht eine Parallele von mehreren neuen Situationen: Der Pandemie, dem Landgastschreiber-Dasein und dem Seminar. Ich soll ja auch einen Blog verfassen, wobei ich die ganze Zeit das Gefühl habe, dass mir mehrere Augen über die Schulter schauen. Jetzt kommt Ihr als Beobachtungs-Instanz noch hinzu.

 

Was erwartest Du Dir von den Produktionstagebüchern?

Für mich ist das Produktionstagebuch im Idealfall eine Möglichkeit, regelmäßig über die Situation und das Schreiben zu reflektieren. Ich bin gerade selbst noch dabei herauszufinden, wie das auch einen Wert für andere haben kann, die meine Bücher und Biografie nicht kennen. Die Tagebuch-Form schützt mich auch ein bisschen davor, dass ich sofort offenlege, an was ich gerade wirklich schreibe. Wenn ich den Prozess einer weitgehend unbekannten Öffentlichkeit die ganze Zeit transparent machen würde, dann würde mir das entgleiten und der Text würde den anderen plötzlich mehr gehören als mir selbst. 

 

Ist es das erste Mal, dass Du anderen so einen Einblick in Deine Texte gewährst?

Ich habe schon enge Vertraute, die meine Texte bekommen, bevor ich sie zu einem Verlag gebe und veröffentliche. Das hat aber natürlich eine sehr persönliche, intime Qualität von einer Vor-Öffentlichkeit. In meinem Studium am Leipziger Literaturinstitut hat man viele eigene Texte geteilt und sich darüber ausgetauscht. Sie wurden sozusagen für die Seminare veröffentlicht, in den Fächern des Kopierraums für jeden zugänglich gemacht. Durch das Bewusstsein dieser literarischen Öffentlichkeit in Miniatur hat sich der Blick auf den eigenen Text verändert, verfremdet sozusagen. Ich hatte dabei aber immer das Gefühl, dass diese vermeintliche Perspektive der anderen, die man da einnimmt, weniger die Arbeit am aktuellen Text beeinflusst, sondern vielmehr die kommenden Texte bereichert. 

 

Möchtest Du Dich noch selbst aus Deiner Perspektive vorstellen? Für uns stellt sich die Frage: Was ist innerhalb Deiner Texte Teil eines fiktiven Charakters und was ist Teil des Autors? Wer bist Du überhaupt?

Das ist schon eine fundamentale Frage. Wer bin ich überhaupt? In keinem meiner Bücher kann man die Person wiederzufinden, die ich in meinem eigenen Alltag bin. Und trotzdem haben natürlich alle mit meinen persönlichen Erfahrungen zu tun. Ich glaube, es ist jetzt wenig sinnvoll, als Kurzreferat zur eigenen Autor-Werdung einen biografischen Abriss zu improvisieren. Als der, der diese Bücher geschrieben hat, würde ich am liebsten hinter sie zurücktreten. Wenn ich Bücher von anderen lese, muss ich immer schnell die Schutzumschläge entfernen, wenn ein Autorenfoto drin ist. Das Foto wirft mich zurück auf die Selbstinszenierung der Schreibenden, die irgendwie so aussehen müssen als wären sie besonders tiefsinnig, ironisch oder gefährlich. Deswegen habe ich bei meinen Büchern darauf geachtet, dass hinten keine Bilder gedruckt und Biografien kurz gehalten werden. Meine Idealvorstellung wäre, dass man irgendwann nur noch ein Bild von einem Wischmopp verwendet und sagt: Roman Ehrlich, geboren und aufgewachsen, studierte, lebt und arbeitet. Aber das wollen die Verlage natürlich nicht, weil die Öffentlichkeitsarbeit mit Persönlichkeiten operiert. 

 

In Malé gibt es einen Romanautor, der selber die unterschiedlichsten Figuren interviewt, letztendlich aber eigentlich nur von sich selbst erzählen möchte. Hast Du auch manchmal Angst, nur von Dir selbst zu erzählen?

Das Bedürfnis ist eigentlich gar nicht so wahnsinnig stark. Der Impuls, von mir selbst zu sprechen, ist bei mir gar nicht so sehr ausgeprägt. Also meine eigene Lebenserzählung hat mich in meinem Schreiben bisher weniger interessiert als die Erzählungen der anderen. So ist das auch für diese Figur in Malé angelegt. Sie hat begriffen, dass die Menschen auf eine andere Art zu sich selbst kommen und es sie in eine besondere Position bringt, wenn sie von sich erzählen. Vieles von dem, wie man sich selbst oder die Welt wahrnimmt, ist ja gar nicht in einer narrativen Struktur vorhanden, bevor man versucht, es in eine solche Struktur zu bringen.

 

Sind das auch Überlegungen, die bei Dir eine Rolle spielen, wenn Du die Erzählperspektive gestaltest? Bei den Produktionstagebüchern würde man vielleicht eigentlich mit einem  Ich-Erzähler rechnen.

Bei dem Produktionstagebuch wäre es natürlich extrem naheliegend, ein Ich zu verwenden. Ich habe in den letzten Tagen ein bisschen mit mir gerungen, wie man die Sache angehen kann. Oft sind Blogs ja solche Ich-Feiern. Das hier ist aber etwas anderes. Hier wurde mit dem Landgastschreiber eine Persona kreiert, ohne dass ich daran irgendeinen Beitrag gehabt hätte. Außerdem finde ich es sehr schwer, dieses „Hiersein” in Irsee angemessen zu verarbeiten. Wenn ich hier sehr persönliche Gespräche mit Menschen führe, will ich ihr Vertrauen innerhalb des Blogs auf keinen Fall unterwandern. Auch deswegen bin ich nicht gleich dem Landgastschreiber.

 

Bist Du - wie einige Figuren in Deinen Texten – auch ein bisschen aus Berlin geflohen?

Nein, eigentlich nicht. Natürlich ist es dort jetzt gerade nicht so angenehm, wie es schon mal war. Mit der Pandemie-Situation setzt auch eine gewisse „Verlandung“ ein. Aber eine schreibende Existenz führt ohnehin dazu, dass man sich ein Umfeld schafft, in dem man ohne Probleme sehr viel Zeit verbringen kann. Die Hoffnung an Irsee war natürlich schon, dass hier eine gewisse Konzentration ermöglicht wird: Lesen, Schreiben, durch den Wald laufen und Nachdenken.

 

Würdest Du sagen, Du hast auch bestimmte Erwartungen an Irsee?

Das ist eine gute Frage. Wenn ich bisher an diese Zeit gedacht habe, habe ich eher in Kategorien gedacht. Da waren Gedanken darüber, was ich dort machen werde, dass ich viel Zeit haben werde zum Lesen, Schreiben und Rumlaufen. Und dass es vielleicht eine andere landschaftliche Erfahrung ist als die, die ich aus meinem Alltag kenne. An den Ort selbst hatte ich keine konkreten Erwartungen; eher, dass sich durch mein Hiersein etwas in meinem Kopf und in meinem Nachdenken öffnet.

 

Gedanklich ist es sicherlich auch schwer für Dich, Deine einzelnen Texte voneinander zu trennen. Inwiefern vermischen sie sich zwangsläufig? Ist es ein Zwang, dass man verschiedene Texte trennt oder versuchst Du eher, sie zu verbinden?

Normalerweise schreibe ich auch Tagebuch, wenn ich nicht observiert werde. Ich habe dabei schon früh gemerkt, dass mein Tagebuch immer irgendeine Art von Öffentlichkeit mitdenkt. Ich glaube, das ist bei mir so eine Art erster Zwischenschritt in die Fiktionalisierung hinein. Man kann die eigene Erfahrung gar nicht aufschreiben, ohne sie zu einem gewissen Grad zu fiktionalisieren. Und die literarischen Texte sind dann eben von der Erfahrung ausgehend weiter in die Fiktion hineingewandert. Bei Malé ist es allerdings so, dass ich nie auf den Malediven war, die Stadt und ihre Umgebung mir aber von außen bei meinen Recherchen sehr erfunden vorgekommen sind – wie ein idealer Schauplatz, um da diese Fiktionalisierungen zu verhandeln, ein Weltverhältnis, das von Projektionen und Zuschreibungen her gedacht ist. Da ist dann von dieser realweltlichen Alltagserfahrung des Tagebuches nichts mehr im Text übrig, außer Denkfiguren und Sprechhaltungen vielleicht.

 

In Deinen aktuellen Tagebüchern arbeitest Du oft mit Kontrasten wie arm und reich oder Alteingesessene und Neuankömmlinge. Denkst Du, dass es diese Kontraste in der Realität gibt oder dass sie sich eher in der Mitte auflösen? Sind solche Kontraste notwendig zum Schreiben – und wenn ja, inwiefern?

Je mehr man sich mit einer Person befasst, desto deutlicher wird, dass man sie nicht in eine Kategorie einordnen kann. Gleichzeitig ist eine Kategorisierung auch notwendig, damit man einen Eindruck bekommt und zumindest zeitweise ein Selbstbild ausprobieren kann.

(Roman zögert) Das ist wirklich eine gute Frage, die ich noch nicht entschieden beantworten kann. Auf den ersten Blick gibt es möglicherweise Kontraste, die sich bei genauerer Betrachtung wieder auflösen können. Ich denke auch, das ist ein Problem der Versuchsanordnung dieses Projekts: Je weniger tief man in die Geschichten des Dorfes reingehen kann, desto mehr gibt es von solchen vermeintlichen Gegenüberstellungen. Und letztlich erweisen sie sich dann doch als haltlos.

 

Zum Schluss noch eine Frage, die nicht direkt Deine Texte betrifft: In vielen Deiner Bücher arbeitest Du nicht nur mit dem Text selbst, sondern auch mit Medien wie Bildern und Fotografien. Am Beginn von Das kalte Jahr sind Fotografien abgebildet. Hast Du die in einem bestimmten Zusammenhang angeordnet und vielleicht selbst fotografiert?

Die Anordnung folgt natürlich der Narration und auch der Komposition des Buches. Es gab einen Fundus von Bildern, der schon vor dem Manuskript da war. Manche haben von sich aus den Text bedingt, andere kamen dann erst dazu, als der Text entstanden ist. Einige habe ich gefunden und zusammengetragen, andere wiederum habe ich selbst fotografiert. 

 

Vielen Dank, lieber Roman, für das spannende Interview!

 

Das Gespräch führten Maximilian Richter, Magdalena Nilles und Susanna Fischerauer.