Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (22). Und erkennt, wie nahe Schönheit und Gesundheit beisammen stehen

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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22

Ich wollte das schon immer mal wissen: wann ist eine Wiese mager und wann ist sie fett, und warum eigentlich.

Gestern bin ich mit einer kräuterkundigen Dame am Rand des Bayerischen Walds herumgelaufen und durch eine Wiese, die ihr selbst schon immer gehört. Sie hat die Wiese seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr gedüngt. Wir gingen da also so herum und es blühte Rotklee und Schafgarbe und Arnika und Spitzwegerich, Johanniskraut ganz am Rand, schon zum Wald hin, und alle möglichen anderen Pflanzen noch, deren Namen ich wieder vergessen habe. Und natürlich waren schon allerlei Sachen verblüht: echter Ehrenpreis und Günsel und Hirtentäschel und so weiter, aber ihre Blätter waren noch da.

Und da sagte die Dame: Das ist eine Magerwiese.

Und ich ganz staunend, aber es wächst doch ganz viel und nur gutes Zeug!

Genau.

Das ist nämlich tatsächlich ein bisschen verdreht: Auf den mageren Wiesen wachsen all die Kräuter, die dem Körper guttun, viele davon sehr bitter, aber eben sehr gut für die Leber und all die anderen Verdauungsorgane und, oder das Herz. Die fette Wiese dagegen ist eine Wiese, die gedüngt wird. Ganz egal ob nur mit Odel, dem besseren Dünger, oder mit Kunstdünger, was eh Unsinn ist, aber ich mache hier ja keine Politik. Die fette Wiese ist fett grün. Das Wiesengras glänzt wie eingeölt, aber Kräuter wachsen darauf keine. Und taugen tut die eigentlich auch nichts, gut ist wahrscheinlich nur die Menge. Viel Wiese macht viel Futter. Aber ohne Energie, sagt die Kräuterdame, was ich ihr sofort glaube.

Mich interessiert sowas sehr, weil ich es verblüffend finde, wie nahe Schönheit und Gesundheit beisammen stehen.

Am Rand der Wiese haben mich schließlich Stechmücken angegriffen. Fünf Stiche in den Bauch, durchs T-Shirt hindurch und kräftiger Juckreiz.

Nehmen Sie ein Blatt vom Spitzwegerich, hat die Kräuterdame gesagt, falten Sie es zusammen und reiben es fest in der Handfläche, dann tritt Flüssigkeit aus. Die verteilen Sie auf den Stichen.

Hab ich gemacht: e voila! Es hat schnell aufgehört zu jucken. Kein Wunder.

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