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16.04.2020, 14:57 Uhr
Andrea Heuser
Text & Debatte
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© Mara Eggert

IN DIESEM FRÜHLING. Ein Gedicht zur Corona-Krise von Andrea Heuser

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(c) Literaturportal Bayern

Andrea Heuser (*1972 in Köln) studierte Germanistik, Politik und Vergleichende Religionswissenschaften an den Universitäten Köln und Bonn. 2008 promovierte sie mit einer Studie zur deutsch-jüdischen Literatur. Im gleichen Jahr erschien ihr Lyrik-Debüt vor dem verschwinden, für das sie u.a. mit dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Es folgten weitere Preise und Stipendien wie das Münchner Literaturstipendium. Im Herbst 2014 erschien ihr Debütroman Augustas Garten. Die Autorin lebt heute mit ihrer Familie in München und arbeitet an der Weiterführung ihres Familienromans Das Winkelhaus, für den sie zuletzt das Münchner Arbeitsstipendium erhielt. Das aktuelle Ereignis der Corona-Krise hat Andrea Heuser zum Anlass für das folgende bislang unveröffentlichte Gedicht genommen, das die Autorin uns freundlicherweise zur Verfügung stellt.

*

 

IN DIESEM FRÜHLING erstarren die Blüten – man sieht es ihnen nicht gleich an,

Auch wer sich nach Wärme, ach was, nach Lichtem sehnt, dem wird durchaus gegeben,

Stars float along the void – Wann aber war es, dass sich die Tage, wie Jahre noch blättern ließen,

Als wir, bemäntelt nur mit unseren Häuten, einander nackt, sehend wurden –

Jetzt herrscht Endzeitberechnung, und ich traue meinem Herzschlag nicht. Ich gehe neben mir her,

Halte Abstand in diesem unwirtlichen Gebiet, dessen Sprache ich nicht beherrsche.

Ich werde sie lernen, lerne schon, ich sehe ja, dass alles möglich ist, nichts ruht. Verifizierung, Falsifizierung – Du malst Dir einen goldenen Zahn, ich zeichne ein Wollmammut und horte Konserven.

Manchmal, da gehe ich nach draußen. Ich bin argwöhnisch. Habe ich alles, mich verriegelt?

Sicher,

Die Sonne streift meine Wangen, gelassen. Was kümmert es sie,

Dass sie mich einfach so betritt, als sei ich stets zugänglich. Reicht dies etwa aus

Dies Wissen, dass sie es ist, the one and only, die unser aller Leben bemaß, bemisst,

Sie, die die Schatten erfand, die Erbarmungslosigkeit und unsere sanfte, lustvolle Erschöpfung.

Ich wünschte, ich könnte sie leugnen. Sie wegen irgendetwas drankriegen. Nun aber summt sie.  

Such beauty – Gewiss, die Bienen kommen früh in diesem Jahr – aber starben sie nicht bereits aus? Und warum wäre das von Bedeutung?

Ich weiche gerne aus, ins Englische, zum Beispiel. Ins Faktische. Ins Gegebene. Nebensätze,

Nebengedanken. Ins Beiläufige, Offenkundige, Chats und andere Verschaltungen. Virenfrei ist

Nichts,

The void, stars float along...

Die Natur macht mir zu schaffen. Ich hinterfrage das nicht, dazu fehlt mir die Zeit und der Sinn

Ich horte Konserven, nein, keine Ängste. Ich bin geschmacklos. Nicht krank. Diverse Tests

Habe ich durchlaufen. Und ich lerne, verlerne, lerne. Wo war es, dass...

Die Schnecke ist eine Langstreckenläuferin, derzeit verschleimt sie die Reste meines Vorgartens.  

Love me tender… Ich übersetze mich. Ergebe mich nicht. Lasse nicht ab. In diesem Frühling

 

© Andrea Heuser. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin