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LiteraPur 14 Eichstätt: Lesung mit Feridun Zaimoglu

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Eichstätt, Spitalbrücke © Literaturportal Bayern

Erlesen konnte man das nennen, was beim diesjährigen Literaturfestival in Eichstätt „LiteraPur“ geboten wurde. Unter den AutorInnen waren der Bachmann-Preisträger Norbert Niemann, der seinen neuen Roman Die Einzigen vorstellte, die Schweizer Schriftstellerin Zoë Jenny las aus ihrem Kurzgeschichtenband Spätestens Morgen, Chamisso-Preisträger und aktueller Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse Saša Stanišić präsentierte seinen jüngsten Roman Vor dem Fest. Aber da war noch ein anderer, nicht weniger hochkarätiger Autor: der in Anatolien geborene, die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens in München, Berlin und Bonn lebende und seit 1984 in Kiel wohnhafte Feridun Zaimoglu.

Zaimoglu stellte seinen neuen Roman Isabel (Kiepenheuer & Witsch, 2014) dem Eichstätter Publikum vor – und es war nur eine Frage des schönen Wetters, das die Lesung etwas dünn besucht war, was aber die Veranstaltung nicht unattraktiver machte, im Gegenteil. So nahm es Zaimoglu nach achteinhalbstündiger Fahrt vom Norden in den Süden Deutschlands fast schon selbstironisch-gelassen hin, an einem Ort wie Eichstätt, passend zum Ort, vor einem „kleinen Bibelkreis von einsamen Kennern der Materie“ aus seinem Werk vorzutragen.

„Männer ohne Land. Frauen ohne Himmel. Zeit nach den Exzessen“, beginnt Zaimoglus Roman. Es ist ein Roman, der nicht nur, wie bei Zaimoglu gewohnt, den gesellschaftlichen Randgebieten und ihren Bewohnern treu bleibt, sondern der ein düsteres Bild unserer Gesellschaft insgesamt entfaltet. Isabel, die titelgebende Protagonistin, ist eine schöne Frau, aber nicht mehr schön und jung genug, um zu modeln, und nicht anerkannt genug, um zu schauspielern. Damit teilt sie das Schicksal vieler junger und schöner Frauen, die Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre versucht hatten, als Künstlerinnen nach der Wende nach Berlin zu ziehen, um dort das Große zu versuchen, aber daran scheiterten, weil sie verhindert wurden oder selbst nicht anders mehr konnten. Zaimoglu spricht hier aus eigener Erfahrung, zumal seiner Schwester Belhe ein ähnliches Schicksal widerfuhr und sie mit der Schauspielerei inzwischen aufgehört hat. Ihr ist der Roman auch gewidmet.

Man erfährt nicht wirklich, warum Isabel von ihrem Freund nach drei Jahren verlassen wird bzw. ihre Beziehung selbst beendet, was sie antreibt, dass sie die Männer so sehr hasst. Fakt ist nur ihr selbstgewähltes erbärmliches Leben, ihre Rolle einer Ausgestoßenen ohne scheinbarem Grund, die in einer kleinen Plattenbauwohnung am Berliner Alexanderplatz lebt und zu ihren Freunden Verrückte, alternde Transvestiten, eine Flaschensammlerin (Helga), Obdachlose und andere zählt. Damit macht sie eine andere Karriere als ihre Roman-Schwester Leyla (2006) durch, die sich als junge Türkin aus den autoritären Verhältnissen ihrer Familie befreit und Elend und Unterdrückung hinter sich lässt. Für Isabel ist typisch, dass sie dort aufhört, wohin ihre Emanzipation sie getragen hat, und da anfängt, wo all das Leid derjenigen beginnt, die mit ihren Verletzungen durchs Leben gehen. In diesem ‚System‘ gibt es scheinbar keinen Platz mehr für die Liebe. In einem Club lernt Isabel einen jungen Mann kennen, der nur auf Eines aus ist – Isabel ins Bett zu bekommen – und ihr noch Vorwürfe macht, wenn ihm das nicht gelingt.

LiteraPur-Veranstalter Dr. Michael Kleinherne stellt Autor Feridun Zaimoglu vor © Literaturportal Bayern

 

Aber Isabel ist mehr als nur ein „Männervernichtungsroman“, wie Zaimoglu sein Buch lapidar nennt. Es gibt Antworten auf drängende Fragen bzw. wirft diese auf – Isabel funktioniert dabei als Idealtype, mit der man sich identifiziert, trotzdem sie hart und die Realität im Roman düster ist. Das war auch bei der Buchpremiere in Berlin und den nachfolgenden Lesungen der Fall, wie Zaimoglu anmerkte, zumal lauter junge Frauen und besorgte Mütter sich Aufschluss über ihre ungeratenen Töchter, die es auch wie Isabel in die Großstadt verschlagen hatte, erhofften. Was bringt Zaimoglu allerdings dazu, über Frauen im Allgemeinen zu schreiben? Die Antwort darauf blieb der Autor nicht schuldig. In einer Art „Selbstvernichtung“ verwandelt er sich den Figuren des Romans an, um ganz in ihnen aufzugehen und sein bürgerliches Autor-Ego abzulegen. Denn nichts ist spröder „als die eigene öde Existenz“, mit der Zaimoglu nichts zu tun haben will. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf Frauen, sondern führt Männer und Frauen gleichermaßen an ihre sozialen wie individuellen Grenzbereiche, „Rollenprosa“ im besten Sinn und zugleich mehr als das: Weil Isabel eine magere Frau ist, hat auch ihr Autor während seiner Schaffensphase um die 16 Kilo abgenommen, um sich ihr leibhaftig anzunähern, hat er „Gewaltmärsche“ gemacht und sich die Schauplätze regelrecht erlaufen. Denn der Roman ist für Zaimoglu mehr als nur Information, weshalb er bis heute auch keinen Computer zum Schreiben verwendet und alles auf der Schreibmaschine tippt.

 

Feridun Zaimoglu © Literaturportal Bayern

Bleiben noch der Stakkato-Stil und die reduzierte Sprache, die Zaimoglus Roman von der ersten bis zur letzten Seite prägen. Bevor Zaimoglu schreibt, macht er sich Notizen; dabei darf kein Satz „länger als ein Schritt“ sein. So wie der Autor sich seinen Figuren anverwandelt und dabei körperliche Exzesse in Kauf nimmt, so soll auch die Sprache „über den Körper entstehen“. Mit anderen Worten: „Sprache ist der Schweiß des Fleisches.“ Die rhythmische Satzfolge, die im Zuge dessen entsteht, verdankt sich für Zaimoglu der deutschen Sprache – auch sie ist rhythmisch, mal als Fluß, mal hartgestanzt ins Papier. So nimmt es nicht Wunder, dass Zaimoglu auch Hörbücher macht. Von Gangsterrollen hat er jedoch vorerst genug.