Info
02.07.2010, 13:22 Uhr
Peter Czoik
Text & Debatte

Lena Christ im Kontext von Heimat, Stadt und Land

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/redaktion/klein/christ_vogeler_500.jpg
"Sehnsucht (Träumerei)" von Heinrich Vogeler, um 1900

„Sittengemälde“, „Therapie“, „Bericht eines sozialen Scheiterns“ – es gibt viele Annäherungen an das Werk von Lena Christ. Vor dem Hintergrund eines entbehrungsreichen Lebens ist ihre Dichtung keine affirmative Heimatliteratur mehr, sondern der Versuch, die Welt zu ‚überblicken‘, wobei Distanz, Heimatsehnsucht und Rituale der Auslöschung des Individuums wesentliche Merkmale bilden.

Lena Christ versagt sich Wertungen oder Kommentare, ihre Figuren tragen keine Etiketten mit sich herum, seelische Vorgänge werden nur angedeutet. Aus dieser Distanz entwickelt die Autorin eine Technik des szenischen, lockeren Erzählens, dessen inhaltliche Fülle wiederum durch Leitmotivik, Parallelen und eine elementare Bildersprache hervorgebracht wird. Ein zentrales Thema spielt dabei die Geburt, die Lena Christ als Krise zwischen Leben und Tod ansiedelt, in der Mutter und Kind schutzbedürftig und abhängig vom Mann, von der Gesellschaft und vom bergenden Heim sind.[1]

Heimat, Stadt und Land

Heimat, verstanden als bergender Platz in der sozialen Gemeinschaft, „a Hoamatl“, wie es in der Rumplhanni heißt, ist bei Lena Christ nicht selten gebunden an Haus und Hof, an den ererbten Besitz. Die größte Angst der Schiermoserin in Madam Bäurin z.B. besteht darin, dass der Familienbesitz infolge der Hochzeit mit einer Städterin verschleudert wird: „Insa Hoamatl g’hört nimmer ins! ... Insa scheens Sach’ geht dahin! ...“

Der Städter an sich stößt auf Ablehnung, weil ihm das fehlt, was Heimat ausmacht: Vieh, Felder, selbst die neueren Maschinen, mithin der gesamte bäuerliche Besitz. Die besitzlosen Dienstboten wiederum haben wie das fahrende Volk keine Heimat; soziale Achtung bleibt ihnen vorenthalten. Heimat bedeutet demnach mehr als täglich' Brot und ein Dach über dem Kopf, mehr als nur Vertrautheit mit einer Landschaft.[2]

Lena Christ gibt keiner Lebensform den Vorzug, weder der städtischen noch der ländlichen. Vielmehr beschreibt sie alltägliche Reibereien und gegenseitige Vorurteile. Daraus entsteht kein Gegensatz, weshalb die Stadt den Aufstieg zu Ansehen und Existenzsicherung durchaus ermöglicht, wenn auch das Elend der Gestrandeten nicht unverborgen bleibt. Umgekehrt bietet das Land gesellschaftlichen Wohlstand, sofern man nicht als Magd oder Knecht sein Dasein fristet.

Jenseits der Scholle

Im Unterschied zu Peter Benedix, ihrem (Ex-)Mann und Förderer, hegt Lena Christ nicht einseitig Sympathie für die ‚Scholle‘, sondern zeichnet ein differenziertes Bild ihrer Figuren: Mathias Bichler im gleichnamigen Roman muss erst die Leiden der Besitzlosen erfahren, das Happy-End der Rumplhanni („a Haus und a Kuah und a Millisupperl in der Fruah“) ist hart erkämpft, der Weinzierl dagegen stirbt in Schmutz und Elend und Fanny kann ihrem Magdsein nicht entkommen.

Während Stand und Rolle den Befreiungsversuchen der Figuren meist enge Grenzen setzen, sind es vor allem die Begabung eines Mathias Bichler oder die Tatkraft einer Rumplhanni, die den fortwährenden Außenseiterpositionen ein Ende setzen.[3]

----------------------------------------------------

[1] Renk, Herta-Elisabeth (1987): Die Überflüssige und ihre Heimat – zu Leben und Werk der Lena Christ. In: Weber, Albrecht (Hg.): Handbuch der Literatur in Bayern. Regensburg, S. 373-385, hier 382.

[2] Adler, Ghemela (1991): Heimatsuche und Identität. Das Werk der bairischen Schriftstellerin Lena Christ. Frankfurt/M., S. 260.

[3] Ebda., S. 240f.