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29.05.2010, 10:17 Uhr
Peter Czoik
Text & Debatte

Rainald Goetz: Der „Abfall“-Poet

Die Texte von Rainald Goetz sind von einer Heterogenität und Offenheit geprägt, dass sie einen im ersten Moment des Lesens (oder bloßen Wiedergebens der Lektüre) scheinbar erschlagen. Doch genau das ist Programm. Was sein zwischen 1998 und 2000 erschienenes Buch-Projekt Heute morgen, das die Werke Rave, Jeff Koons, Abfall für alle, Celebration und Dekonspiratione umspannt, als „Ganzes“ ist, das kann er, Goetz, ohnehin „gar nicht richtig erkennen. Es ist eben die Gegenwart, deren [!] Ganzes, das Ganze der Gegenwart.“

Dabei lässt sich seine literarische Neuorientierung, die in ihrer ‚Präferenz‘ für den Systemtheoretiker Niklas Luhmann auch eine philosophische ist, bis in die 80er-Jahre zurückverfolgen. Damals hatten Goetz' Texte zum Ziel, Chronos, die Zeit, noch einmal herauszufordern. Gewissermaßen die Forderung zu beleben, dass das Leben einen Sinn haben und im Ganzen eine Einheit bilden sollte. Dadurch wären die zwischenmenschlichen Dinge gelöst, wie es das Motiv des Zusammenfügens verschiedener Welten in Goetz' Irre belegt.

Mit dem Schreiben des Internet-Tagebuchs Abfall für alle aber entstand die Erkenntnis zu sagen: „nein: sagt der hohe Herr, die Zeit / Erlösung gibt es nur im Text / die Welt ist WIRR.“ Damit war eine endgültige Absage an seine Stücke Krieg bis zur Dramentrilogie Festung eingeleitet, worin „der Literatur noch immer ihr kontrafaktischer Status, ihr klassischer Anspruch, geklagt wurde im Anschreiben gegen ihre Folgenlosigkeit.“ (Rainer Kühn)

Verschiebungen

Die Hinwendung zu Acid House und Techno 1988 brachte schließlich die Wende: Goetz verkehrte im Kreis von DJ-Größen wie Hell, Westbam oder Sven Väth und schrieb Artikel für Szene-Magazine. In den 90er-Jahren verdichtete sich dann seine Arbeit auf besagtem Gebiet – neben Mix, Cuts & Scratches (zusammen mit Westbam) erschienen die Pentalogie Heute morgen und der Band Jahrzehnt der schönen Frauen.

In Goetz' Denken lassen sich nun drei Verschiebungen wahrnehmen:

Erstens im Verhältnis zum Körper, wo sich die negative Haltung der Anfangsphase umkehrt, zumal Liebe und Sexualität gelebt werden; statt Fotos körperlicher Missbildungen (wie in Irre bzw. Hirn) gibt es in Celebration lauter glückliche Party People.

Zweitens auf dem Feld der Politik, von deren Einflusssphäre sich die Literatur zurückzieht, ohne politisch bedeutungslos zu werden, indem sie sich selbst als Autopoietisches System (Luhmann) begreift und in der „Erzeugung von Differenz“ Position bezieht.

Drittens hinsichtlich der Subjektivität, deren anfänglicher Hass-Gestus als Motor der Welterschließung – „Haß / Treibt / Vernünftig / [...] Haß ist einziger vernünftiger abstrakter Trieb“, heißt es in Krieg – umgelenkt wird auf Spannungen innerhalb der Texte, also als Kraftquelle immanenter Diskurse. Diesen entscheidenden Schritt haben indes nach Goetz „relativ viele, die die Emphase-Erfahrung von 68 gemacht haben, verweigert.“