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08.07.2010, 15:07 Uhr
Katrin Schuster
Text & Debatte
An dieser Stelle sollte eigentlich ein Bericht über die tschechisch-bayerische Literaturreise stehen, die das Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg und das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren organisiert hatten. Doch dann wurde der Text länger und länger. Und nun hat er eben nicht nur eines, sondern mehrere Kapitel, die wir hier in loser Folge veröffentlichen.

Nach Prag und zurück: Kapitel II

Kapitel II. Wie ich in Prag beinahe vergeblich den Ausgang eines Parks suchte, wie ein Haus tatsächlich tanzte, eine Ost-West-Liebe zu verstummen drohte, eine Hintertür im Prager Goethe-Institut vermutet wurde und ich ein Hotelzimmer ohne Steckdosen nicht verstand.

Im ersten Kapitel dieses Reiseberichts kam ich gerade einmal bis Prag. Was ich trotzdem noch nicht erzählt habe: Es war nicht das erste Mal, dass ich nach Prag kam; schon einmal, es muss die Klassenfahrt in der Neunten gewesen sein, war ich dort. Irgendwann im Laufe des Schuljahrs 1990/91 also. Und bis zu dem erneuten Mal in diesem Frühsommer 2010 dachte ich, dass ich mich an dieses erste Mal leider gar nicht erinnern könnte. Einzig und allein die Disco (am Wenzelsplatz?), in der wir einen Abend (oder mehrere?) verbrachten, hatte ich immer mal wieder vor Augen, und das hat wohl vor allem damit zu tun, dass damals dort einer meiner Klassenkameraden zu mir meinte, dass ich ja ganz gut tanzen könne. Was für ein Mädchen im Alter von 15 Jahren ein ziemlich bedeutsames Kompliment ist – weshalb diese Disco in meinem Kopf offenbar zum regelrechten Erinnerungsort avancierte.

Beim zweiten Mal nun lernte ich, dass ich mich getäuscht hatte. Dass sich da doch noch etwas anderes ins Gedächtnis gegraben hatte. Und dieses andere ist ein Satz, der für Tschechisch-Unkundige so unverständlich wie unmissverständlich ist. Er lautet: „Ukončete, prosím, výstup a nástup, dveře se zavírají“. Für uns damals lautete die erste Hälfte ungefähr „Akonschestawistokanasta“, und das wurden wir nicht müde uns gegenseitig vorzusagen. Wohl weil es das einzige Tschechisch war, das wir ‚konnten‘: Dieser Satz tönt an jeder Station durch die Lautsprecher der Prager U-Bahn, kurz bevor die Türen schließen – und eben genau das besagt er auch: „Beenden Sie bitte den Aus- und Einstieg, die Türen schließen“. (Dass ich wahrlich nicht die Einzige mit dieser unauslöschlichen Erinnerung bin, habe ich beim Googeln festgestellt. Der Tschechisch-Blog berichtet, dass viele Touristen diesen Satz „nach ein paar Tagen Prag-Aufenthalt nicht mehr aus dem Kopf bekommen, manche lebenslang, wie ich in meinem Umfeld feststelle.“ Die Erinnerung ist offenbar allererst ein akustisches Phänomen.)

Im Hotel angekommen dauerte es ein wenig zu lange, bis ich herausgefunden hatte, wie das Licht im Bad funktioniert; überhaupt stand ich mit der Elektrik des Hotels Diplomat ziemlich auf Kriegsfuß. Nachdem ich verstanden hatte, dass man die Plastikzimmerkarte in den Schlitz neben der Badezimmertüre stecken muss, damit der Lichtschalter seine Aufgabe erfüllt, suchte ich eine Steckdose für mein Handy. Und fand nur eine einzige – ehrlich: Alle anderen Kabel verschwanden einfach hinter Schränken, Nachtkästchen und dem Schreibtisch –, und an dieser einen prangte unübersehbar der Aufkleber „Only for TV“ – was irgendjemanden aber nicht davon abgehalten hatte, einen Doppelstecker in diese Dose zu schieben. Zwei Anschlüsse „only for TV“? Hm, Diplomaten hatte ich mir immer anders vorgestellt.

Nun, meinte ich, könne eigentlich niemand mehr zwischen Prag und mir stehen – und machte mich also zu Fuß (und sogar inklusive aufgeladenem Mobiltelefon, mein erstes Foto siehe oben) auf den Weg nach unten. Um 19.45 Uhr sollte ich am Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren sein, zur Lesung von deren aktuellem Stipendiaten Lars Reyer. Doch aus dem Park östlich des Hradschin gibt es kein Entkommen, den durchquert man nicht so leicht. Der hat zwar keine Mauern, dafür aber Wege, deren Warnschilder ich entweder nicht verstand oder deren Abwärtstrend nur eine Täuschung war, da sie nach der ersten Kurve wieder nach oben bogen. Es dauerte also alles viel zu lange, und am Ende eilte ich an der Moldau entlang, um wenigstens noch pünktlich zu kommen. Zwei wichtige Häuser habe ich dennoch gesehen: das tanzende Haus, das wirklich tanzte zu dieser Stunde, da die Sonne schon in die Knie gegangen war. Und das Goethe-Institut, das erst durch Lars Reyers Erzählung von der Putzfrau, die im Waschraum verschwand und nicht mehr daraus hervorkam, zu einem Erinnerungsort kafkaesker Manier wurde. Allerdings konnte auch ich im Nachhinein ein seltsames Verschwinden feststellen:

Prager Goethe-Institut mit – und ohne Puma

Der Roman, an dem Lars Reyer gerade schreibt und aus dem er an diesem Abend im „Literaturhäuschen“ las, erzählt übrigens von Einem, der mit seinen Eltern kurz nach dem Mauerfall in den Westen ging – und von seiner Kindheit im deutschen Jenseits nichts erzählen will, so sehr seine Freundin auch auf ihn eindringt. Und sich dann eben doch erinnert – an Bilder, und natürlich an Geräusche, nämlich an des Vaters schiefes Pfeifen von „Hoch auf dem gelben Wagen“. Ganz am Ende seiner Lesung sagte Lars Reyer: „Die deutsche Sprache ist nicht so schön, wie man immer denkt. Man muss sich mit ihr arrangieren.“

Und nächste Woche lesen Sie an dieser Stelle: Wie einst ein Verhaftungsprotokoll zum Verzeichnis einer Bibliothek taugte, wie ein Park einfach nur ist und Bäume wie Buchstaben in der Landschaft herumstehen.