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Kultur trotz Corona: „Der Goldfisch“. Von Peter Bähr

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Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Peter Bähr (*1949 in Stuttgart) ist Autor, Musikus, Skulpteur, Bleistiftzeichner und lebt bei Bamberg. Die Alte Oper in Frankfurt a.M., Hinterhöfe und andere Foren führten ihn in den frühen 1980er-Jahren über Zürich und Wien bis nach Budapest. Aktuell liegen fünf intermediale Bühnenkonzeptionen von ihm vor. Mit seiner Performance in zwei Akten Am Knochen nagt der Falter bunt, / Bellt gutgelaunt: grad wie ein Hund! entführt Peter Bähr in die Welt der Literatur. In einer Sprache, die zuweilen an Jean Pauls verwinkelte Satzdynamik erinnert und dabei humorvolle Einblicke gewährt, vermag Bähr skurrile Sachverhalte unterhaltsam zu vermitteln. Er ist in keine Schublade einzuordnen: vom „perfekten intellektuellen Oberflächensensualismus“ (Sachsenspiegel) bis hin zur „existenziellen Qualität des Befragens, die bei ihm gegeben ist“ (Reutlinger Generalanzeiger) reichen die literaturjournalistischen Einschätzungen. Der Oberfränkische Tag kommt zu dem Schluss: „Bähr spielt mit dem Wort, meistert es und läßt es funkeln.“

2011 erhielt Bähr eine Nebenrolle in der Hollywood-Produktion Die drei Musketiere als stummer Kapuzinermönch und Geheimdienstchef Père Joseph, der rechten Hand von Film-Bösewicht Kardinal Richelieu, gespielt von Oscar-Preisträger Christoph Waltz. 

Mit dem folgenden unveröffentlichten Text beteiligt sich Peter Bähr an der Fortsetzung von Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.

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Der Goldfisch
oder
Als Czernys Etüden einmal unversehens aus dem Takt geraten sind

 

Einmal, es war wohl während des lustlosen Herunterspielens der eintausend Kompositionen eines gewissen Carl Czerny – der bekanntlich Schüler von Beethoven und seinerseits Lehrer von Liszt gewesen war –, während dieser Fleißarbeit also, die Zeit beansprucht und allen ernsthaften Pianisten empfohlen wird, kurz, einmal bemerkte ich durch die Taste des dreigestrichenen C hindurch ein leises Pochen.

In der Annahme, einer Täuschung erlegen zu sein, ist fortgefahren und präludieret; aber bei jedem erneuten Anschlag des besagten Tones wiederholte sich derselbe Eindruck:

Die Fingerkuppe nahm eindeutige Impulse wahr.

Apropos Klavier heißt darzulegen: Ein schon betagtes, um nicht zu sagen antiquiertes Instrument aus Japan, dito Wechselstrom, nachgeplappert sind's plusminus 220/240 Volt. Anders ausgedrückt: Auf elektronischer Basis aufgebaut und zugleich wetterwendischen Tücken im Gefolge mechanischer Mängel nicht abhold – deshalb galt der erste Gedanke, verständlicherweise, mitunter auftretenden Kriechströmen, welche zwar schwach, aber gerade noch spürbar, über diese Taste den Weg zu mir gefunden haben mussten. Wie auch ergänzend eingeflochten sei, dass die Wissenschaft als Ursache eines solchen Defekts Verunreinigung nennt oder Feuchtigkeit.

Aber ich will nicht vorgreifen. Oder referieren über Bedingungen von Ventilation und Kondensationsverzug. Geschweige aufwärmen eine Kontroverse über das Faktum Taupunktdifferenz – herausgegriffen Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Auflage, 1978, Band 23, Seite 257, Spalte 2. Nicht minder plausibel zu Rate ziehen ein 608-Seiten-Universal-Nachschlagewerk und erspäht anno 1979 in der Auslage einer Araltankstelle: Mithin und wofern es dunstig, um ein Erdatmosphären-Gasgemisch vulgo Lufttrübung es sich handele – summa summarum seien es mikroskopisch feinste Wassertröpfchen.

Oder war's gewesen bei Esso – auf dass beendet der Gedankenflug?

Soll heißen: wo stehengeblieben?

Indem mein Pensum eine gute Viertelstunde befreit schien von Fehlern und Störungen. Bis ich in die Pfütze patschte: mutmaßlich ein Wärmestau, ein Zuviel an Betriebstemperatur, Zugluft vom Fenster?

En passant hatten Kondenstropfen, wo nicht mein Knie, so den Fußboden benetzt – eine Wischprobe bestätigte den Augenschein.

Und prompt ist aufs neue gestrauchelt über eine heftige Irritation beim dreigestrichenen C!

Verständige Menschen hätten schleunigst den Netzstecker gezogen oder alternierend die Hauptsicherung herausgeschraubt: Weder an das eine noch an das andere kann ich mich erinnern. Es war auch noch nie Wasser im Instrument gewesen.

Groß freilich das Erstaunen, als nach dem Öffnen der Klaviatur, anstelle der bekannten und mehr oder weniger aufwendig gestalteten Systemen der Elektronik, als nunmehr simple Kieselsteine zum Vorschein kamen und genau dort, wo Dioden, Widerstände und Kondensatoren das problematische C zeitigen sollten, ein gestrandeter Fisch steckte, ein Goldfisch (Carassius carassius auratus), der auf rätselhafte Weise den Weg hierher gefunden hatte und mich anstarrte, dabei ganz offensichtlich mit seinem Latein am Ende war, ja höchst bedenklich zuckte.

Mehr noch – der kleine Kerl kämpfte um sein Leben!

Ein leichtes, die zwei, drei Hindernisse zu entfernen, ihn zu befreien – gleichwohl das Instrument zu ruinieren: durchaus war eine Struktur zu erkennen und eine Ordnung im Geröll, in einer nur scheinbar wahllosen Aufschüttung. Augenblicklich schämte ich mich ob meiner Bedenken und war noch einmal herangeschlichen, in einem günstigeren Winkel.

Jedoch neigen derart Bedrängte, zumal in auswegloser höchster Not, zur Panik; falls mein Zugriff misslang und wenn der Schlag ihn rührte, so wäre sein Ende noch eines mit Schrecken gewesen.

Aber nur wenig duckte er sich, schmiegte sich schon in meine Hand. Ging vielleicht zugrunde während dieser dramatischen Sekunden, da ich zum Waschbecken eilte, beide Hände schützend um den kalten Körper gelegt, um ihn dem Element, das er so lange entbehrt haben musste, wieder zuzuführen?

Was ihm gefiel, wie den wohligen Seufzern und Lauten zu entnehmen war, die nur aus einem Fischmaul stammen konnten, und wer je ähnliches erlebt hat, wird bestätigen, wieviel Fingerspitzengefühl es braucht und welche Umsicht, damit nicht zuletzt noch ein Unglück geschieht – nämlich des Guten zuviel!

Dosiert und fein zerstäubt war anfangs der Strahl; vielleicht kennen Sie noch diese elastischen Tüllen mit einem breiten Sieb am Ende? Und zusehends erholte sich der kleine Fisch: Blässe wich einem leuchtenden Rot, die Schuppen begannen mehr und mehr zu glänzen, er wurde immer lebhafter.

Andererseits wollte ich nicht bis ans Ende aller Tage am Ausguss stehen.

Lediglich eine Blumenvase sowie eine Kaffeetasse waren in Reichweite, und in Ermangelung eines geeigneteren Gefäßes – denn wer ist eingerichtet auf derlei Modalitäten – war's schon entschieden. Stets darauf bedacht, dass nichts überschwappte, trat ich in die Pedale, was nicht unproblematisch, mit einem Hochrad, Scheunenfund und teilrestauriert, Baujahr 1885.

Rollte, rumpelte dem ungeachtet in flotter Fahrt zu einem Teich, der etwas außerhalb von W. gelegen, inmitten einer Wildnis, unzugänglich und am Ende unwegsam, überdies so gut wie unbekannt – Wölfe heulen dort wie Hunde –, weshalb ich mich hüten werde, auf die Beschreibung meiner Umwege auch nur entfernt einzugehen oder darüber Angaben gleich welcher Art zu machen, geschweige irgendwelche Worte zu verlieren, was nachgesehen sei.

Falsch! Nicht um ein Fitzelchen Verständnis bitte ich: Weil dort der Fisch heute noch schwimmt, stoisch seine Kreise zieht, plätschernd dann und wann mit kleinem Handgepäck.

Pläne schmiedend, sowohl betreffs Gemeinwohls als auch fokussiert aufs Ehrenamt.

Und wenn er nicht gestorben ist, alternierend ausgestattet mit einem modisch neuen Hut?

In Sachen Kopfbedeckung – vielleicht genannt ein Borsalino?

Aus Biberfilz: ein zugegeben skurriler, ein geradezu abwegiger Gedanke.

Belassen deshalb besser wir's bei einem Kalabreser. Mit Seidenband. Und dunkelblauer Schleife.