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01.09.2016, 10:00 Uhr
Marina Babl
Netzroman von Thomas Lang
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© Panagiotis Gavriiloglou

Interview mit Thomas Lang zum Auftakt des interaktiven Online-Romans „Der gefundene Tod“

Anfang August ist der Roman Immer nach Hause des Münchner Autors Thomas Lang über den jungen Hermann Hesse erschienen. Schon einen Monat später beginnt das nächste Projekt Der gefundene Tod. Das Besondere daran: Der Roman soll als interaktives Online-Experiment völlig transparent und im Austausch mit den Usern im Internet entstehen. Wir haben mit Thomas Lang über das Projekt „Netzroman“ gesprochen. Heute, am 1. September, fällt der Startschuss für das Projekt auf netzroman.thomaslang.net.

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Literaturportal Bayern: Thomas Lang, wie kam es zu der Idee für dieses Projekt?

Thomas Lang: Die Idee entstand in Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Fridolin Schley. Wir sprachen darüber, dass man als Leser normalerweise immer ein Endprodukt „Buch“ bekommt, das man dann liest – und es sehr spannend sein könnte, den Prozess, der irgendwann zum fertigen Text führt und viele Schritte haben kann, sichtbar und mitgestaltbar zu machen. Damit war die Idee „Netzroman“ geboren. Denn im Internet kann man das, was man vorher nicht oder nur sehr schwer hätte machen können, eben ganz gut durchführen: Lesern die aktive Mitgestaltung am Entstehungsprozess eines Texts ermöglichen.

Worum wird es in der Geschichte gehen?

Die Buchidee beruht auf einer wahren Begebenheit. Vor etwa zehn Jahren hat hier in Bayern eine Gruppe junger Leute in der Freinacht, also in der Nacht zum 1. Mai, gefeiert und sehr viel getrunken. Sie waren draußen im Wald unterwegs und haben dort zufällig eine Leiche gefunden. Später hat sich herausgestellt, dass diese Person bewusst nach draußen gegangen war, um zu erfrieren, und sich so selbst aus dem Leben befördert hat. Die Jugendlichen haben den Toten nicht einfach liegen gelassen und jemandem Bescheid gegeben, sondern die Leiche aus dem Gebüsch gezerrt und ihr unter anderem mit Metallstangen, die sie dort gefunden haben, Gewalt angetan. Das Ganze haben sie mit ihren Handys gefilmt oder fotografiert und am nächsten Tag in der Schule herumgezeigt. Als das aufflog, gab es einen großen Skandal und großes Entsetzen. Das Ereignis ging durch die Presse, und auch in Internetforen wurde heftig darüber diskutiert, wie unglaublich verroht diese Jugendlichen seien und dass sie hart bestraft werden müssten.

Diese Geschichte habe ich damals mitbekommen und sie hat mich gleich beschäftigt. Ich fragte mich, wie es sein muss, durch die Adoleszenz zu gehen und erwachsen zu werden, wenn man so einen irrsinnigen Mist gebaut hat und von der Gesellschaft für einen schlechten Menschen gehalten wird. Genau das war der Ausgangspunkt, der Stoff für dieses Projekt. Im Zentrum meiner Geschichte wird dabei die 15-jährige Ellen stehen, die von allen Elle genannt wird und – in meiner Fiktion – in besagter Nacht Teil der Gruppe war.

Wie wird das Projekt ablaufen, wenn es Anfang September losgeht? Wie oft werden Sie schreiben und wie wird die Arbeit funktionieren?

Es ist nicht genau festgelegt, dass ich vier- oder fünfmal die Woche daran arbeiten werde, aber natürlich werde ich regelmäßig etwas schreiben und posten. Das hängt immer auch ein bisschen davon ab, wie es gerade läuft. Manchmal hat man einen „Flow“, dann schreibt man relativ schnell relativ viel. Und manchmal stockt es auch. Selbst dann kann man aber für die Leser sichtbar Überlegungen darüber anstellen, was gerade los ist und wo es hakt.

Gleichzeitig ist das Projekt auch so geplant, dass die User das Ganze nicht nur online begleiten, indem sie lesen, welche Schritte ich mache, sondern dass sie die Geschichte tatsächlich auch selbst mitgestalten können, wenn sie wollen. Sie können also an bestimmten Stellen im Text ihre Vorstellungen beschreiben, wie eine Szene weitergehen oder wie sich eine Figur entwickeln könnte. Hier kann ein Austausch entstehen, indem die Leser forumsartig Beiträge posten und Kommentare hinterlassen.

Das macht die Sache für Sie natürlich weniger planbar, und als Autor büßen Sie dadurch in gewisser Weise einen Teil Ihrer Autonomie ein. Wie wird das für Sie sein?

Ja, das ist natürlich auch für mich neu, ungewöhnlich und verbunden mit Unwägbarkeiten. Normalerweise arbeiten wir Autoren eher im stillen Kämmerlein und das, was wir geschrieben haben, geben wir irgendwann einem Freund oder dem Lektor zum Lesen weiter. Beim Netzroman wird der Prozess geöffnet, sodass man auch sein Tasten und die Unsicherheiten, die manchmal da sind, offen zeigt. Das kann aber sehr befruchtend sein. Es wäre jedenfalls die Hoffnung, dass auf meine eigenen Lösungen, mein eigenes Besteck und meine eigenen Überlegungen neue Perspektiven von Leuten eines anderen Alters oder mit anderen Lebenserfahrungen treffen. Eine solche Art der Kommunikation stelle ich mich sehr bereichernd vor.

Ein solcher Austausch kann nur stattfinden, wenn sich genügend Leser beteiligen. Wie werden die Leute auf Ihr Projekt aufmerksam gemacht?

Das Projekt wird vom Literaturportal Bayern begleitet und gefeatured. Durch Pressemeldungen hoffe ich, das Interesse der Medien für meine Arbeit wecken zu können. Und dann ist da natürlich die Hoffnung, dass unter den Leuten ein Anfangsinteresse entsteht, sie positive Erfahrungen mit dem Projekt machen, ihre Begeisterung mit anderen teilen und die Idee so verbreiten.

Wann kann man das Projekt als beendet betrachten?

Ich habe das nicht genau festgelegt, aber die „heiße Phase“, während der das Projekt online ist, wird wohl über ein paar Monate laufen, wenn es gut läuft vielleicht ein halbes Jahr lang. Es wird wahrscheinlich nicht bis zum Ende des Schreibprozesses gehen, weil ein Roman ja oft auch mehrere Jahre braucht und diese Zeitspanne wäre mir dann doch etwas zu groß. Aber ich denke, dass die Leute sich für ungefähr ein halbes Jahr aktiv beteiligen können, und dann wird sich zeigen, wie diese Erfahrungen verwertet werden können und wie man davon ausgehend weitermacht.

Was muss in diesem halben Jahr passieren, damit Sie von einem Erfolg und einer tollen Erfahrung sprechen können?

Idealerweise wird es eine Bereicherung, die die Geschichte weiterbringt und vielleicht besser macht, als sie es ohne das Projekt geworden wäre. Auf klassischem Weg lässt sich der Prozess recht gut als Dreieck darstellen: Der Autor schreibt einen Text, dieser Text erscheint und der Leser befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite und liest ihn. Eine Kommunikation über den Text entsteht hier nur indirekt über die Lektüre des Textes als Schnittstelle. Im Netzroman wird dieses Dreieck verändert. Es gibt einen direkten Fluss zwischen dem Autor und den Lesern bzw. Mitgestaltern des Texts, sodass sich dieser einseitige Informationsfluss in einen zweiseitigen Austausch verwandelt. Wenn ich es schaffe, Leute zu gewinnen, die sich produktiv, motiviert und ohne Zerstörungsgedanken beteiligen wollen, wäre es ein großer Erfolg. Wenn ich natürlich nach dem halben Jahr das Gefühl hätte, das wird kein fertiger Text mehr und die Geschichte ist hiermit zu Ende, wäre das kein schönes Ergebnis. Aber damit rechne ich eigentlich nicht. Ich denke, man muss sich jetzt vortasten. Es ist ein Experiment, und niemand weiß so richtig, was da passieren wird. Ich bin ganz positiv gestimmt.

Ist das Ziel des Projekts ein Buch, das man dann auch im Buchhandel kaufen kann?

Ja, das wäre auf jeden Fall das Ziel. Welche Art von Buch das sein wird, ist dabei aber noch offen. Ich könnte mir vorstellen, dass Dinge, die während der Online-Phase entstanden sind und mit denen ich mich gemeinsam mit den Usern in diesem Zeitraum beschäftigt habe, auch im Buch abgebildet sind, sodass man am Ende nicht nur einen Text hat, sondern eine Dokumentation über ein Projekt. Es könnte aber auch sein, dass es vielleicht am Schluss einfach ein klassischer Roman wird, versehen mit einem entsprechenden Vor- oder Nachwort. Das ist aber alles noch völlig offen, und jetzt konzentriere ich mich erst einmal auf die Online-Phase.

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