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01.12.2015, 15:37 Uhr
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Klaus Kempf über die Dante-'Marathonlesung' in der Bayerischen Staatsbibliothek

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Michelino-Fresko, Dom Santa Maria del Fiore

Nach den erfolgreichen Lesungen des Inferno und des Purgatorio lockte im dritten Teil des Dante-Lesemarathons am 29.11.2015 zuguterletzt das Paradies. Im Lesesaal für Musik, Karten und Bilder der Bayerischen Staatsbibliothek in München trugen Künstler, Dozenten, Studenten und engagierte Italien- und Dante-Liebende je einen Gesang vor und erlaubten den Zuhörern, den Himmelswanderer aus der Göttlichen Komödie zu begleiten, wenn ihn die Erfahrung einer philosophischen Liebe zu Beatrice über Begegnungen mit Herrschern, Theologen und Heiligen schließlich bis zur Gottesschau führt. Zu den Vortragenden gehörten neben vielen anderen der Journalist Alex Rühle (SZ), der Lyriker und Literaturwissenschaftler Federico Italiano und Mitinitiator Klaus Kempf (Abteilungsleiter Digitale Bibliothek und Bavarica, BSB), dem wir gleich pronto noch ein paar Fragen zu der besonderen Veranstaltung stellten.

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Wie kam es zu dem Dante-Marathon und wie war die Resonanz?

Der „Dante-Marathon“ ist die Frucht enger Zusammenarbeit mit zwei anderen Institutionen, die Italien in besonderer Weise verbunden sind. Das ist zum einen das Instituto Italiano di Cultura, das älteste der italienischen Kulturinstitute auf deutschem Boden, und zum anderen das Institut für Italianistik an der hiesigen Universität. Beide sind für uns langjährige Kooperationspartner, wenn es um das Thema Italien unter seinen zahlreichen Facetten geht. Der „Marathon“ startete schon im Februar 2014 mit der Lesung des Inferno und setzte sich dann dieses Jahr – in dem wir Dantes Geburtstag zum 750. Mal begehen – mit der Lesung des Purgatorio, des Läuterungsberges, im April und nunmehr des Paradiso zum Jahresausklang fort.

Die Resonanz war an allen drei Terminen erfreulich hoch, wenn man sich die Spezifika der Veranstaltung vor Augen führt: Es wurden fortwährend und großteils nur auf Italienisch bzw. Altitalienisch die jeweils über 30 Gesänge der drei Teile der Göttlichen Komödie vorgetragen. Es gab dazu keine weiteren Erläuterungen. Das setzt folglich beim Zuhörer einiges an Vorkenntnissen und auch Selbstdisziplin voraus. Vor allem im ersten Teil, daran erinnere ich mich noch sehr gut, saßen nicht wenige Zuhörer mit der eigenen gedruckten Commedia-Ausgabe auf den Knien im Saal, um immer mal wieder die eine oder andere Textstellen nachzuschlagen. Insgesamt herrschte, das gilt vor allem für die letzte Veranstaltung, eine, wie ich es nennen würde, literarisch-meditative Stimmung, wozu die Musik – eine sehr anspruchsvolle Auswahl von Stücken von Janáček, Bach und Kompositionen aus dem späten Mittelalter, also der Lebenszeit von Dante – sicherlich beitrug.

Welche Tradition haben öffentliche Dante-Lesungen?

Die Lesung der Divina Commedia mit großem Publikum auf öffentlichen Plätzen geht, so berichten es Chronisten, in Florenz bis auf das 15. Jahrhundert zurück. Diese lange Tradition nahm zuletzt in Italien Roberto Benigni wieder auf, der mit Fernsehübertragungen von der Lesung auf der Piazza della Signoria, also dem Hauptplatz, auf dem er selbst vortrug, dieses Stück Weltliteratur einer breiten Zuhörerschaft wieder näher gebracht hat.

Was glauben Sie: Warum berührt uns die Göttliche Komödie noch immer, nach so vielen Jahrhunderten?

Dante Alighieri wird von vielen als der größte Dichter, den die Welt je kannte, angesehen. Sein Hauptwerk, die Göttliche Komödie, enthält alles, was große Literatur enthalten soll. Hier sind alle denkbaren menschlichen Regungen, Denk- und Verhaltensweisen präsent. Sicher, Dante ist ein Kind seiner Zeit, seiner Epoche, und schildert daher in einer Sprache und an Beispielen, die ihm nahe waren, was das Menschenleben, vor allem das menschliche Zusammenleben ausmacht. Damit aber nicht genug. Er entwirft mit der Commedia eine umfassende Idee des Jenseits, eine ganz eigene Welt, und tut dies in einer Sprache, die offenbar als zeitlos schön und aussagekräftig anzusehen ist.

     

(c) Literaturportal Bayern

Haben Sie einen Lieblingsgesang – und wenn ja, weshalb?

Das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Ich gebe zu, dass auch ich die Gesänge des Inferno allen anderen vorziehe. Dabei ist mir – auch da befinde ich mich in guter Gesellschaft oder gar bei der Mehrheitsmeinung – der fünfte Gesang, wo es um die unerfüllte Liebe von Paolo und Francesca da Rimini geht, derjenige, der, vor allem wenn er gut vorgetragen wird, der liebste ist und mir wirklich ans Herz greift. Dante selbst schwinden ja angesichts des Schicksals der beiden die Sinne vor Mitleid …

Sie sind ein großer Italienkenner: Wenn man nun eine Dante-Reise unternehmen wollte – was sollte man nicht versäumen?

Man kann Italien mit der Divina Commedia in der Hand oder, wenn man so will, mit Dante Alighieri als Reiseführer kreuz und quer durchstreifen. Es ist unglaublich, wie viele Bezüge Dante zu dem Land herstellt, entweder durch die konkrete Benennung von Landschaften und Orten oder durch die Nennung von historischen Persönlichkeiten, die mit bestimmten Örtlichkeiten in Verbindung gebracht werden können. Ich würde natürlich neben seiner Geburtsstadt Florenz auf jeden Fall den Besuch von Ravenna empfehlen, wo er die letzten Jahre im Exil zubrachte. Dort ist er auch gestorben und heute noch begraben. Wen es nach mehr gelüstet, der sollte sich das heute fast vergessene, aber vorzügliche Werk Dantes Spuren in Italien. Wanderungen und Untersuchungen (München 1898) von Alfred Bassermann zu Gemüte führen, das sich natürlich auch im Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek befindet. Etwas Umfassenderes zu dem Thema gibt es meines Wissens zumindest auf Deutsch nach wie vor nicht.