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Putzi

... scheint irgendein Problem mit seinem Darm zu haben, aber das hat vorher keiner gesagt.

Der Hund läuft aus. Oh ja, der Hund läuft aus und mein Teppich ist verdammt fleckig deswegen. Wenn er nur pinkeln würde, wär`s ja in Ordnung, aber es kommt einfach alles raus, immer. Er kündigt das nicht an und legt los, deshalb versuche ich zu erahnen, wann er so weit ist und wir Gassi gehen müssen. Wir gehen jetzt eigentlich immer Gassi, also, mindestens sechs Mal am Tag, Schadensbegrenzung. Von der Kaufingerstraße zum Gärtnerplatz und über den Viktualienmarkt zurück. Manchmal kaufe ich dem Hund dort eine Wurst. Weil er ja auch nichts dafür kann.

Ist schon okay, morgens jogge ich dazu. Mittags hole ich mir was zu essen, nachmittags einen Kaffee, später am Nachmittag noch einen Kaffee, abends wieder etwas zu essen und nachts rauche ich. In meiner Wohnung rauche ich nicht mehr, ist sicher schädlich für den Hund. Der Hund ist ein Dackel und heißt Putzi. Das weiß ich, weil es ihm jemand ins Fell rasiert hatte, als er im Tierheim abgegeben worden war.

Jetzt ist Nachmittag und meine Tasche ist voll mit Plastiktüten. Die brauche ich für Putzi, der gerade wie wild über den Gärtnerplatz hetzt, immer im Kreis, und ein Häufchen nach dem anderen hinterlassend. Wobei – Häufchen kann man nicht wirklich sagen. Es erinnert eher an Schlammpfützen, oder meinen Kaffee, den ich in der linken Hand balanciere, während ich mit rechts in eine der Plastiktüten greife und dann mit der Plastiktütenhand irgendwie versuche, Putzis Hinterlassenschaften zu erwischen. Irgendein Problem hat er mit seinem Darm, soviel weiß ich mittlerweile, aber das hat mir im Tierheim keiner gesagt. Da war er süß und zitternd und schlappohrig dackelig in eine Ecke gekauert dagesessen und ich dachte, er wäre die einzig große wahre Liebe, die ich im Leben haben will.

„Hallo, wer bist denn du?“, höre ich eine weibliche Stimme von weitem, da sitzen zwei Mädchen mit langen blonden Haaren im Gras mit extravaganten Sonnenbrillen auf der Nase, obwohl die Sonne nicht scheint. Putzi ist mitten in ihre Jacken gestolpert, die sie als Sitzunterlage ausgebreitet haben, schaut verwirrt von einer zur anderen und wetzt, als ich bei ihnen angelangt bin, längst weiter seine Kreise. Die Situation ist mir irgendwie peinlich und ich versuche, sie durch einen lässigen Spruch zu entschärfen.

„Wieso ... habt ... ihr ... Sonnenbrillen auf?“, keuche ich außer Atem, ich glaube, die halten mich für pervers mit meinen Häufchentüten im Arm, dabei bin ich nur langsam echt erschöpft von dieser … Scheiße im wahrsten Sinne des Wortes.

Kleine zugebundene Plastiktütenhügel säumen meinen Weg.

Die eine schielt erst irritiert über den Rändern ihrer Sonnebrille hervor und rümpft die Nase – dann aber lächelt sie, sagt „Zauberschöne Sonnenstunden“ und wird von einem lauten Hupen unterbrochen. Autos bremsen und ich schrecke hoch. „Putzi!“, brülle ich und stürze zur Straße. Schimpfende Autofahrer und erschrockene Fußgänger aber zum Glück kein Fellknäul, das zerdrückt und reglos auf der Straße liegt. Von weitem sehe ich ein wedelndes Schwänzchen mit Dackel davor kleiner und kleiner werden. Putzi rennt.

Die Schickeria sitzt draußen vorm Soda an Tischen aufgereiht, alle nippen an ihrem Aperol Spritz und rauchen, strecken die Gesichter dem bewölkten Himmel entgegen und verharren in ästhetischen Posen. Wenn jemand vorbei geht, folgen ihm lediglich ihre Augen. Sie hören nicht das leise atemlose Hecheln zu ihren Füßen, glauben vielleicht hin und wieder warmes Fell zu spüren, das ihre Beine streift, bis schließlich eine merkt, dass es kein Fell ist, was da warm und golden plätschernd ihren Knöchel hinabrinnt und sich in ihrem Stiletto sammelt. Sie schreit spitz auf, eine andere stimmt ein, dann noch eine. Putzi verdreht verzückt und erleichtert die Dackelaugen und lässt die letzten Reste aus seiner Blase tröpfeln.


Den ganzen Spaziergang auf der Karte verfolgen ...

Verfasst von: © Katrin Baumer, 2011

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