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Schraudolphstraße 36 (c) Literaturportal Bayern

Graf: Schraudolphstraße 36

Erstmals seit seiner Ankunft in München wohnt Oskar Maria Graf nicht mehr zur Untermiete. Im Frühsommer 1917 beziehen er und seine erste Ehefrau Karoline (Lina) Bretting ein Atelier in der Schraudolphstraße 36 im vierten Stock. Der Name Grafs taucht jetzt offiziell im Melderegister der Stadt sowie im Stadtadressbuch auf: „Graf, Oskar Schriftst[eller].“ (Das „Maria“ legt er sich später zu.) Seine Ehe gestaltet sich als schwierig und ist aufgrund der unterschiedlichen Charaktere von Unglück getrübt. Auch in finanzieller Hinsicht ist die Lage nicht einfach: Lina arbeitet als Sekretärin in einer Grabsteinfabrik, Graf versucht mit Bittbriefen an finanzkräftige Partner Geld aufzutreiben. Am 13. Juni 1918 kommt ein Kind, Grafs einzige Tochter Annemarie, zur Welt.

Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges kann Graf einige Gedichte und Prosatexte veröffentlichen. Möglich wird ein finanziell ausgeglicheneres Dasein allein dadurch, dass er ein Stipendium von Professor Roman Wörner und dessen Frau bekommt: Als Graf einen Bittstellerbrief ans Rote Kreuz schickt, wird er an den Literaturwissenschaftler und Ibsen-Spezialist Wörner vermittelt, der von Grafs Gedichten begeistert ist und ihm ein monatliches Stipendium in Höhe von 100 Mark zuteil werden lässt. Da dieses aber nicht ausbezahlt wird, da der bezugsberechtigte Stipendiat noch im Krieg ist, verweist Wörner nach dessen Rückkehr seinen neuen Schützling an seine Frau Hertha König, die Graf – neben anderen Künstlern und Literaten (u.a. Rainer Maria Rilke) – mit monatlich 200 Mark unterstützt.

Am 30. März 1917 erscheint in den Münchner Neuesten Nachrichten ein Bericht Grafs über seine Kriegserlebnisse unter dem Titel „Träume. Aus zwei Feldpostbriefen eines Künstlers“. Der Bericht erregt Aufsehen, zumal Grafs Namensvetter, ein in der Georgenstraße lebender Kriegsmaler und Radierer, einen Eid geschworen hat, nichts über seine Kriegserfahrungen zu berichten. Graf wird deshalb nahegelegt, seinen Namen bei künftigen Publikationen zu ändern. Wie Rainer „Maria“ Rilke verwendet er jetzt das „Maria“ unter seinen ernsthaften Schriften; für die „Dutzendschreiberei“ und Auftragsarbeiten setzt der aus Berg am Starnberger See stammende Schriftsteller den Namen Oskar Graf-Berg.

Zu Grafs weiteren Einnahmequellen zählt das Schreiben von Kunstkritiken und Buchrezensionen. 29 Bücher bespricht er in den Jahren 1917 und 1918. Bei den Kunstkritiken beschränkt er sich auf die Maler der Neuen Sachlichkeit, worunter auch sein Freund Georg Schrimpf zählt, der ihn auf die Idee mit den Kunstkritiken bringt. Die Einnahmequelle versiegt jedoch, als bekannt wird, dass Graf bei der Besprechung eines Buches von Albrecht Schäffer ein eklatanter Fehler unterläuft, indem er diesen mit dem deutlich älteren Wilhelm Schäfer verwechselt.

Ende 1918 verlässt Oskar Maria Graf die eheliche Wohnung in der Schraudolphstraße. Nachdem er seiner nach schwerer Influenza aus dem Krankenhaus heimgekehrten Frau die Trennung eröffnet hat, mietet er sich ein Atelier in der Barer Straße und ist häufig zu Gast bei dem in Nymphenburg lebenden holländischen Künstlerfreund Anthony Hoboken. Graf feiert dort in der „Hoboken-Villa“ zusammen mit anderen Künstlern rauschende Feste.

Lina bleibt dagegen allein in der Schraudolphstraße zurück und widersetzt sich einer Scheidung. Erst 1944 kann die Ehe ohne ihr Wissen oder ihre Einwilligung von einem US-Gericht aufgelöst werden.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik