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Thomas Mann, 30.4.1900 (ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Atelier Elvira / TMA_0016)

Seeshaupt I (1907)

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Seeshaupt, Villa Hirth, heute Haus Eberle (2021). Foto: Dirk Heißerer

Fünf Jahre später, im Sommer 1907, ist Thomas Mann seit zwei Jahren mit Katharina (Katia) Pringsheim verheiratet und hat mit ihr die beiden Kinder Erika und Klaus. Nach dem großen Erfolg seines Familienromans Buddenbrooks. Verfall einer Familie (1901) sitzt Thomas Mann seit 1906 an dem Gesellschaftsroman Königliche Hoheit und kommt nicht recht voran. Eine produktive Erholung erhofft sich der etwas verzagte Autor im Sommer 1907 vom Starnberger See. Die Wahl fällt auf das südliche Seeshaupt und die privat vermietete „Villa Hirth“ (heute Haus Eberle) an der St.-Heinricher-Straße 81. Die vierköpfige Familie bringt in die Ferien den leicht verrückten Collie Motz mit, der als „Percy“ im Roman Königliche Hoheit eine besondere Rolle spielt.

Die Einladung an den Bruder Heinrich vom 19. Juni 1907 stimmt den Ton dieser Wochen an: „Willst Du uns nicht mal besuchen? Es ist ein gutes Gasthaus nicht weit von uns. Ich bin möglichst fleißig und arbeite hier wenigstens regelmäßig, wenn auch die tägliche Kraft nicht weit reicht.“[7] Er kommt tatsächlich nicht recht weiter, äußert sich darüber aber beredt in einer Mitteilung an die Literarhistorische Gesellschaft in Bonn:

Ich bin (…) zu meiner ‚Musik‘, meinem Roman zurückgekehrt, den die ‚Neue Rundschau‘ schon allzulange ankündigt und den sie schon noch eine Weile wird ankündigen müssen. Jeden Vormittag ein Schritt, jeden Vormittag eine ‚Stelle‘, – das ist einmal meine Art, und sie hat ihre Notwendigkeit.[8]

Der Roman erschien erstmals in neun Teilen zwischen Januar und September 1909 in der Neuen Rundschau und in Buchform im Oktober 1909. Der Starnberger See förderte Thomas Manns Arbeitsstimmung ein wenig. An Carl Ehrenberg schreibt er am 29. Juli: „Hier ist es schön. Ich stehe sehr intim mit dem See, der unmittelbar unter meinen Fenstern liegt, schwimme, rudere. Mein Buch schreitet vor.“

Thomas Mann bei der Dressur des Collies Motz in Seeshaupt am Starnberger See, Villa Hirth (heute Haus Eberle), St.-Heinricher-Str. 81, Sommer 1907. Fotograf: Unbekannt. Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich. TMA_0038

Viele Jahre später, am Pfingstmontag, dem 24. Mai 1920, kam Thomas Mann mit seinem Freund Georg Martin Richter auf einer „Segelfahrt“ von Feldafing an der Villa Hirth vorüber und konnte sich im Tagebuch an den einstigen Sommeraufenthalt erinnern: „Ich sah unser Haus am See wieder, wo wir den zweiten Sommer nach unserer Verheiratung verbrachten.“[9] Vielleicht hat er sich dabei auch daran erinnert, dass damals die Eltern seiner Frau und deren Geschwister hin und wieder zu Besuch kamen. So fuhren Alfred und Hedwig Pringsheim am 18. Juni 1907 mit der Bahn nach Seeshaupt, wurden „von Katja empfangen, bei ihnen gemütlich Tee, im Garten gesessen, Kinder und alles in Ordnung, schön Wetter“.[10] Das war beim zweiten Besuch am 5. August 1907 etwas anders, als Hedwig Pringsheim mit ihrer Nichte Hedda Gagliardi auf dem Schiff durch die „Gluthitze“ dieses Tages nach Seeshaupt fuhr und in ein doppeltes Gewitter geriet:

Von Tommy’s empfangen, nach dem Essen geruht, dann mit Hedda gebadet. Bem Tee unerquickliche Scene zwischen dem Ehepaar, Tommy sehr heftig, dann bis zu unserer Abfart undisciplinirt u. ungezogen. Dazwischen Spaziergang – one Tommy. Um 9 bei drohendem Gewitter mit Klaus [Katia Manns Zwillingsbruder] zur Ban gerannt.[11]

 


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[7] Thomas Mann, Brief an Heinrich Mann, Seeshaupt, 19. Juni 1907. In: Heinrich Mann, Thomas Mann: Briefwechsel, hg. v. Katrin Bedenig u. Hans Wißkirchen in Erweiterung der Edition von Hans Wysling, Frankfurt a.M. 2021, S. 187.

[8] Thomas Mann, Mitteilung an die Literaturhistorische Gesellschaft in Bonn, Seeshaupt, Juli 1907. In: Thomas Mann, Essays I 1893-1914, hg. u. textkrit. durchges. v. Heinrich Detering u. Mitarb. v. Stephan Stachorski, Frankfurt a.M. 2002 (GKFA 14.1), S. 169-173, hier S. 171. Die falsche Datierung „Seeshaupt am Starnbergersee, Juli 1906“ (ebd., S. 173) ist auf Juli 1907 zu korrigieren.

[9] Thomas Mann, Tagebuch, München 25. Mai 1920. In: ders.: Tagebücher 1918-1921, hg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt a.M. 1979, S. 438.

[10] Hedwig Pringsheim, Tagebuch, München, 18. Juni 1907. In: dies.: Tagebücher Band 4, 1905-1910, hg. u. komment. v. Cristina Herbst, Göttingen 2015, S. 265. Die eigenwillige Rechtschreibung Hedwig Pringsheims mit fehlendem Dehnungs-h wurde beibehalten.

[11] Hedwig Pringsheim, Tagebuch, München 5. August 1907. In: ebd., S. 274.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer

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