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Else Lasker-Schüler - die eigenwillige, vielseitige Poetin

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Porträt Else Lasker-Schülers von 1907, aus Jürgen Schebera: Damals im Romanischen Café, Ullstein-Verlag

Die 143. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Avantgarde. Darin schreibt Renée Rauchalles über die Avantegardistin Else Lasker-Schüler.

 

Ein alter Tibetteppich

Deine Seele, die die meine liebet
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füsse ruhen auf der Kostbarkeit
Maschentausendabertausendweit.

Süsser Lamasohn auf Moschuspflanzenthron
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon

 

Die Art und Weise, wie sich Else Lasker-Schüler (1869-1945), Schlüsselfigur der Avantgarde, die Welt in einer bildhaft-sinnlichen Sprache durch ungewöhnliche Metaphern, Wortneuschöpfungen und -kombinationen anverwandelte, bezeichnete der Schriftsteller Karl Kraus (1874-1936) als »Magie«. Als er dieses Gedicht 1910 in der von Elses zweitem Mann herausgegebenen Zeitschrift Der Sturm las, war er davon so begeistert, dass er es drei Wochen später in seiner Zeitschrift Die Fackel nachdruckte. Später schickte sie ihm von Jerusalem aus diese inzwischen berühmt gewordenen Verse in Handschrift mit einer Widmung zu seinem 60. Geburtstag. Else heiratete nach der Scheidung von Berthold Lasker im April 1903 (Heirat 1894) noch im November Georg Lewin (1878-1941), dem sie den Namen Herwarth Walden gab. Er behielt ihn zeitlebens bei. In diese Ehe brachte sie ihren 1899 außerehelich geborenen Sohn Paul mit, den sie abgöttisch liebte und dessen Vater sie nie bekannt gab. Er starb 1927 an Lungentuberkulose, dem Jahr, als ihr Schauspiel Die Wupper im Staatstheater in Berlin (wo sie fast 40 Jahre innerhalb eines großen Künstlernetzwerks lebte) aufgeführt wurde. Seinen frühen Tod hat sie nie verwunden. Den neun Jahre jüngeren Walden lernte sie 1900 im Kreis um den Dichter, Journalisten und Theatermann Peter Hille (1854-1904) kennen. Er war ihr »Gottkamerad«, der ihr zum künstlerischen Durchbruch verhalf. 1906 veröffentlichte sie ihr Peter Hille-Buch. Auch Walden (wie Else jüdischer Abstammung) unterstützte sie. Als Schriftsteller, Verleger, Galerist, Musiker und Komponist war er einer der wichtigsten Förderer der deutschen Avantgarde. Er gründete 1904 den »Verein für Kunst«, dem Schriftsteller wie Heinrich und Thomas Mann, Rilke, Wedekind und Lasker-Schüler angehörten. In seiner 1910 gegründeten Zeitschrift Der Sturm, die bis 1932 bestand, veröffentlichten viele bedeutende Persönlichkeiten und natürlich Else. Sie war impulsgebend für den expressionistischen Aufbruch, was zur Gründung der Zeitschrift (auch wenn sich bereits 1909 die Trennung des Paares anbahnte) und der legendären »Sturm«-Galerie führte. Kurz vor ihrer Scheidung am 1. November 1912 wurde Waiden zum Adressaten ihrer »Briefe nach Norwegen«, die unter dem Titel Mein Herz: Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen erschienen, in dem sie Einblicke in das Endstadium ihrer Ehe gibt.

Der Dramatiker Paul Zech schrieb dazu in seiner Besprechung in der Wochenschrift März: »Else Lasker-Schüler, diese Tänzerin durch kosmische Gefühlsvorstellungen, steht einsamer denn alle im Bann des Gegenwartslebens ... Sie zerschlägt alle Formen der Tradition und schafft in höchster Ergriffenheit ein Neues in Sprache, Gliederung und Aufbau ... nie hat Wortkunst solche Triumphe gefeiert ...«. Die Musikalität ihrer Sprache inspiriert bis heute zahlreiche Komponisten, sie ist die meistvertonte (derzeit 1840mal) deutschsprachige Lyrikerin. Ihr politischstes Theaterstück IchundIch (entstand in Jerusalem) wurde 2019 in Hamburg als Oper aufgeführt (Komponist: Johannes Harneit). Von dem Komponisten Stephen Harrap gibt es eine Kostprobe auf www.else-lasker-schueler-gesellschaft.de. Die Uraufführung fand zu deren 30-jährigem Bestehen am 21. November 2020 statt.

Bereits Elses erster Gedichtband Styx, der im Herbst 1901/1902 erschien, zeigte ihre extreme Gefühlswelt zwischen Überschwänglichkeit und Schwermut, Exaltiertheit und Mystik, Leidenschaft und Frömmigkeit, Traumwelt und Realität. Ihr ekstatischer Ausdruck bei Lesungen versetzte ihr Publikum in Staunen. Es reagierte, wie auch die Kritik, auf ihre Gedichte oft mit Unverständnis.

Die Essener »Rheinisch-Westfälische Zeitung« urteilte 1910 über ihr Gedicht Leise sagen: »Vollständige Gehirnerweichung«. Und Franz Kafka konnte ihre Gedichte nicht leiden, er fühlte bei ihnen »nichts als Langeweile über ihre Leere und Widerwillen wegen des künstlichen Aufwands«. Aufgrund ihres unkonventionellen Lebensstils und ihrer extravaganten Erscheinung erfuhr die Dichterin oft gesellschaftliche Ausgrenzung. Ihre auffallende Aufmachung führte sogar dazu, dass sie einige Male auf der Straße verhaftet wurde. Der Arzt und Lyriker Gottfried Benn (1886-1956), den sie 1912 kennenlernte, beschrieb sie als »sehr klein, ca. 1,50 m groß, ... Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne daß alle Welt stillstand und ihr nachsah ... und sie war immer arm in allen Lebenslagen und zu allen Zeiten ... «, weshalb Freunde sie finanziell unterstützten. Die 43-jährige, schon berühmte Dichterin, war in den 17 Jahre jüngeren, noch unbekannten Benn sehr verliebt, was nicht auf Gegenliebe stieß, auch wenn darüber spekuliert wird, ob es vielleicht doch mehr war als nur eine Liebesgeschichte in poetischer Form, die sie beide in erotischen Gedichten in mehreren Zeitschriften für die Leserschaft ausbreiteten. Selbst Benns abweisendes Gedicht Hier ist kein Trost wurde veröffentlicht.

Da war die Freundschaft zu Franz Marc (1880-1916), die 1913 begann (im Briefwechsel standen sie schon vorher) ein gewisser Ruhepol. Er und seine Frau holten Else zu sich nach Sindelsdorf, damit sie sich von der Scheidung erholt. Lange hielt sie die Stille auf dem Land aber nicht aus, sie brachten sie nach München zu Freunden von ihr. Als Marc 1916 im Ersten Weltkrieg bei Verdun fiel, war dieser Verlust für Else unendlich groß. Was blieb, war die für beide befruchtende Korrespondenz. Sie schrieb ihm als »Prinz Jussuf von Theben«, er als »Blauer Reiter«. Nach seinem Tod veröffentlichte sie 1919 als Nachruf den fiktiven avantgardistischen Briefroman Der Malik mit zahlreichen Zeichnungen (an ihrer Malkunst hatte Marc maßgeblichen Anteil) auf der Basis ihrer Briefe an den Malerfreund.

Else stilisierte sich zur Kunstfigur, sie verwandelte sich innerhalb ihrer literarischen Schöpfungen in wundersame Fantasiegestalten, wie in den erwähnten Jussuf, in Tino von Bagdad oder in den Malik. 2019 war ihr 150. Geburtstag. Er wurde weltweit gefeiert, vor allem von der Else-Lasker-­Schüler-Gesellschaft in Wuppertal-Elberfeld, ihrer Heimatstadt. Vom 6. Oktober 1919 bis 16. Februar 2020 zeigte das Von der Heydt-Museum in Wuppertal in der Ausstellung »Else Lasker-Schüler, ›Prinz Jussuf von Theben‹ und die Avantgarde« rund 200 Exponate, darunter circa 70 Zeichnungen von Else, zahlreiche Bücher, ELS-Porträts von Künstlern wie Jankel Adler und Karl Schmidt-Rottluff sowie Franz Marcs farbenprächtige Postkarten. Ihr eigenes malerisches Werk konnte man erstmals 2010/2011 im Jüdischen Museum in Frankfurt/Main und 2011 in der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof in Berlin sehen, zu dem es einen Werkkatalog mit umfangreichem Textteil gab.

Das und vieles mehr erfährt man in den Almanachen, die Hajo Jahn, Vorsitzender und 1990 Gründer der ELS­ Gesellschaft, regelmäßig rund um das Thema Else herausbringt. 1933 floh sie vor dem Naziregime nach Zürich (Kleist-Preis 1932), 1939 zog sie endgültig nach Jerusalem, wo sie ihren letzten Gedichtband Ich habe zuhause ein blaues Klavier veröffentlichte und 1945 starb. 2020 kam ein Jubiläums-Almanach mit zahlreichen Beiträgen heraus, in dem Jahn auch an viele berühmte Weggefährten erinnert. Vieles hat er bewegt, unter anderem auf Elses bildnerisches Werk aufmerksam gemacht, zahlreiche Aufführungen initiiert, Karl Bellenbergs Werkverzeichnis der Vertonungen angeregt und 23 ELS-Foren im In- und Ausland organisiert. Das nächste findet vom 2. bis 10. Oktober 2021 in Frankreich in Sanary-sur-Mer statt.

 

- Titelzeile: Zitat aus einem Brief von ELS an den in Leiden lebenden holländischen Literaturkritiker und Mäzen Nicolas Johannes Beversen aus der Korrespondenz zwischen 1905 und 1932.
- Else Lasker-Schüler. Die Bilder, Hrsg. Ricarda Dick, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
- 13. Almanach Meinwärts – das Herz der Avantgarde, 2020, 384 Seiten, zahlreiche Fotos.