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06.10.2014, 12:57 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [491]: Der Blogger reist durch Spanien

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Sevilla: die Uhr der Kathedrale

Es wird Zeit. Es wird sogar höchste Zeit, weiterzumachen; der Blogger und die Leser wollen schließlich wissen, wie es mit Gustav und Beata und Fenk und Oefel weitergeht. Die Uhr weist uns den Weg – aber zunächst müssen wir noch einen Umweg machen: einen Umweg über Spanien, weil's der Zufall so gebietet – und hat Jean Paul nicht auch gelegentlich sich auf Spanien berufen? Er hat, und natürlich auch in der Loge. Da war schon von den närrischen Olla potridas der Großen die Rede, die Gustav nach seinem Theaterspiel genießt, der Weltreisende Ottomar kennt den Fluss Guadiana, der Dichter den Rodericus Araga und die maurische Sufi-Sekte der Zahuri, und erst kürzlich lasen wir von der Maußenbacher Audienza, womit der Doktor Fenk seinen hypochondrischen Freund sehr ironisch als spanischen Richter einer Audienza, also eines Gerichtshofs selbst, bezeichnete.

Hätte Jean Paul in Spanien gelebt, so hätte er im Wesentlichen drei Könige, die französische Besatzung und jede Menge Verwerfungen miterlebt. Als er geboren wurde, regierte Karl III. das Land – ein im Rahmen des despotischen Absolutismus guter König, dem man auf dem schönen Madrider Platz namens Puerta del Sol – der Sonnenpforte, dem geographischen Zentrum des Landes – ein Reiterdenkmal gewidmet hat. Goya hat auch ihn gemalt: als freundlichen Herren.

In jüngerer Zeit hat man ihm eine andere Art von Denkmal geschenkt: in der Nähe des Prado.

Dort findet man auch seinen Nachfolger, der leutselig in die Menge grüßt. Das „einfache Volk“ aber scheint mit ihm nichts zu schaffen zu haben.

Kein Wunder: es gab ruhmreichere Könige. Karl IV., der von Goya in seinem berühmten Familienporträt der Bourbonenfamilie verewigt wurde – man findet es im Prado, indem man von der großen Galerie zielgerichtet zum Goya-Raum (Schwerpunkt: Königsfamilie) läuft und mit der Nase draufgestoßen wird –, zeichnete sich durch die den Habsburgern eigene körperliche Degeneration aus, die im napoleonischen Zeitalter ihre Entsprechung im moralischen Verfall der Adelssippe fand.

Der Franzose überrannte das Land und schickte den König und seine Frau, die berühmt-berüchtige Henriette Louise, ins Exil. Man kann sie auch heute noch allenthalben betrachten: in echten und nachgemachten Goyas, etwa im Escorial, dessen Bourbonenpalast (der auch mit Hilfe des Tappisserie-Entwerfers Goya zauberhaft ausgestattet wurde) zu Lebzeiten des jungen Jean Paul die verfeinerte spanische Hofkultur verbürgte. Ein wenig von diesem Glanz mochte der Scheerauer Hof sein eigen nennen.

Tyrann, ins Tränen- und Blutmeer siehst du die Sonne einsinken, welche über die Erde herleuchtete! Aber du hoffst irrig. Auch die andere Sonne geht unter in Abendrot und Ozean; aber sie kommt am Morgen unerloschen wieder und bringt neuen Tag.

Jean Paul hat sich 1808 – als Napoleons Truppen in Madrid, in unmittelbarer Nähe der Puerta del Sol, die Aufständischen hinrichten ließ, wovon heute noch Goyas nach wie vor erschütterndes Jahrhundertbild im Prado zeugt –, Jean Paul hat sich in diesem Jahr, das ein Jahr für politische Schriften war, Gedanken über die zukünftige Ordnung Deutschlands gemacht: in den Dämmerungen für Deutschland. Vom gegenwärtigen Spanien ist hier nicht die Rede – aber man kann die Zeilen, die er dem Tyrann widmete, getrost auf die furchtbare Vernichtung der Spanier münzen, die nichts weiter taten, als ihre Freiheit gegen den größenwahnsinnigen Korsen zu verteidigen, da es der König und seine Clique nicht vermocht hatten, dem Franzosen ein stabiles Gegengewicht entgegen zu schleudern. So erinnern nicht nur die Königsbildnisse in den Schlössern an diese finstere Epoche der Spanischen Geschichte – auch die Gedenktafeln im Madrider Stadtzentrum, die den Sonnenplatz auf eigene Art illuminieren. Auch das Gemälde, das zu Jean Pauls Zeit gehört: wie die Idylle der Rollwenzelei.

Ein eher typischer Einblick in die Jean-Paul-Zeit – weitab vom Bayreuther Schreibtisch des Dichters, aber nahe genug um, in Zeiten der französischen Besetzung der Stadt, den politischen Denker an die Gegenwart des Tyrannen zu erinnern, der einst angetreten war, die Welt neu zu ordnen.

Als Jean Paul an der Loge arbeitete, entwarf er das Bild eines dekadenten Adels, der die Freiheitsrechte des „kleinen Mannes“ über den Haufen wirft. Im Hintergrund loderte die Revolution, die noch nicht genug Blutopfer gefordert hatte und gerade dabei war, ihre Kinder zu fressen. Eines der Kinder war besonders gefräßig, hatte aber auch besonders viel Glück – doch war 1792/93 kaum ahnbar, in welchem Ausmaß Napoleon in nur 15 Jahren den Kontinent, bis in den Südwesten, mit seinem Terror überziehen sollte. Dass er wie im Nebenbei ein dekadentes Herrscherpaar wegfegte, gehörte indes eher zu den Betriebsunfällen einer Geschichte, die das Wegfegen von korrupten Königen, die auf die Jagd gehen, aber die Regierung ihrer Frau und deren Liebhaber überlassen, völlig legitimiert.

Mit Karl III. aber hatte Spanien mehr Glück. Kein Wunder, dass ihn die Madrider auch heute noch – im Schatten der Cafeterias und Cervezerias – als ihren „besten Bürgermeister“ bezeichnen.

Fotos: Frank Piontek (September 2014)

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[1] Überflüssig zu betonen: erst im Blick auf die Bilder der Vernichtung erhält ein Ort wie die Rollwenzelei seine besondere Bedeutung. Der Dichter mag es, bei allem Grollen über die geistlose Stadt Bayreuth, geahnt haben.

[2] Nichts gegen Liebhaber! Und noch weniger gegen Liebhaberinnen!

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