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26.09.2014, 10:37 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [486]: Die Erinnerung, das einzig wahre Paradies

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Maienlandschaft bei Thuisbrun

Eine gereinigte hebende Maienluft kühlte mit Eis den Trank der Lunge, die Sonne sah fröhlich auf unsern funkelnden Frühling nieder und schaute und glänzte in alle Taukügelchen, wie Gott in alle Seelen....

Die Liebe sei ein Kind der Freiheit, meint man. Jean Paul sagt: Kein Mensch ist fröhlich, wenn er das Beste sucht oder zu finden hofft, was hienieden zu verlieren ist – Gesundheit und Liebe. Wie wahr. Hilft dagegen das Bewusstsein, dass er Mensch mit seiner Vernunft und der Kraft seiner Erinnerung seine Freuden (im Gegensatz zu seinen Verdiensten) erneuern kann?

Es stimmt ja: Erinnerungen können, wenn man die guten von den schlechten separiert – und wer wüsste nicht, dass oft das Eine mit dem Anderen unlösbar verklammert ist? –, immer wieder kommen. Es liegt weniger an unserem Bewusstsein als an unserem Un-Bewusstsein, das uns bisweilen, wie zufällig, die Erinnerungsbilder in den wahrnehmbaren Teil des Hirnkastls spült. Jean Paul erwies sich als früher Hirnforscher, als er behauptete: Unsere Gehirn-Fibern sind die Saiten einer Äolsharfe, die unter dem Anwehen einer längst vergangnen Stunde zu spielen beginnen. Als Propagandist eines Unbewussten aber ist er zugleich ein Anwalt der Vernunft: denn er meint, dass es der menschliche Geist sei, der es – darin größer als der Weltgeist – schaffe, aus dem Chaos, also den ungeordneten Bildern und Erinnerungen, die in unseren Gehirn-Kugeln entstehen, etwas Gestaltetes zu schaffen. Aus der Chaos-Masse schlägt der menschliche Geist noch Blumen, ja: Rosen-Gefilde und Sonnen-Gestalten.

Es ist viel verlangt vom Geist: aus dem Chaos der Erinnerungsspeicher zugleich Mikro- wie Makrokosmen zu generieren, aber es stimmt ja: bisweilen blitzt aus der Chaos-Masse des gelebten Lebens, wie es sich im Speicher erhalten hat, ein Bild auf, das uns wohlig umfangen mag. Erinnerungen an die Liebe[1] wie an schöne Wanderungen können darin enthalten sein, die wiederum mit der Liebe zusammenhängen. Der Himmel auf Erden ist, so betrachtet, nicht allein eine Sache der Gegenwart. Im Bezug auf Rousseau macht Jean Paul es deutlich: Glücklicherer Rousseau, als du selber wusstest! Dein jetziger erkämpfter Himmel wird sich von dem, den du hier in deiner Phantasie anlegtest, in nichts als darin unterscheiden, dass du ihn nicht allein bewohnest...

Was letzten Endes darin hinausläuft, die Wirklichkeit der Gegenwart mit der Fiktion der Vergangenheit so zu vermengen, dass etwas schlichtweg Paradiesisches entstehen könnte. In diesem Sinne könnte man dem Aphoristiker zustimmen: dass die Erinnerung das einzige Paradies sei, aus dem man nicht vertrieben werden könne.

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[1] Wie wir sie im Allgemeinen definieren.

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